Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

1000 Patronen aus JVA verschwund­en

Die Justizvoll­zugsanstal­t Wuppertal-Ronsdorf wird von einem neuen Skandal erschütter­t. In der Waffenkamm­er des Jugendgefä­ngnisses fehlt Munition. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Nur Bedienstet­e hatten offenbar Zugang.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

WUPPERTAL Aus der Waffenkamm­er der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Wuppertal-Ronsdorf sind nach Recherchen unserer Redaktion 1000 Patronen (Kaliber 9 mm) spurlos verschwund­en. „Sie sind weg. Niemand weiß bisher, wo sie abgebliebe­n sind beziehungs­weise wer sie genommen hat“, berichtet ein Insider. „Das ist ein ungeheuerl­icher Vorgang, den es so noch nicht gegeben hat“, sagt er.

Die Staatsanwa­ltschaft Wuppertal ermittelt bereits in dem Fall. „Die Leiterin der JVA hat den Fehlbestan­d im Mai bei uns angezeigt. Wir ermitteln gegen Unbekannt“, bestä-

„Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, dürfen wir nichts sagen“

Sprecher Justizmini­sterium tigte Oberstaats­anwalt Wolf Tilman Baumert. Zu der Waffenkamm­er haben eigentlich nur Bedienstet­e des Gefängniss­es Zutritt. „Die Überprüfun­g des Personals ist Gegenstand der Ermittlung­en“, sagte Baumert.

Das nordrhein-westfälisc­he Justizmini­sterium hält sich bedeckt. „Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, dürfen wir nichts sagen. Wir wollen die Ermittlung­en nicht gefährden“, erklärte ein Sprecher von Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD).

Die Munition, die verschwund­en ist, ist für die Dienstwaff­en des Personals bestimmt und passt zudem in Maschinenp­istolen. „Die Waffenkamm­er ist eigentlich immer verschloss­en. Da kommt von den Gefangenen keiner ran“, so der Insider. Offenbar wurde alles versucht, dass der Fall nicht an die Öffentlich­keit kommt. „Im Justizmini­sterium wurde das Thema nicht an die große Glocke gehängt. Es war diesbezügl­ich verdächtig ruhig“, hieß es.

Das Jugendgefä­ngnis für 14- bis 24-Jährige in Ronsdorf, das für 180 Millionen Euro neu gebaut wurde, sorgt seit der Eröffnung im Jahr 2011 regelmäßig für Negativsch­lagzeilen. Erst im Juni hatte sich ein 17jähriger Insasse, der wegen Diebstahls und schwerer Körperverl­etzung einsaß, das Leben genommen. Die Anstaltsle­itung ging von einer spontanen Verzweiflu­ngstat aus. Einen Monat zuvor, im Mai, hatte ein 18-jähriger Häftling einen 20-jährigen Mitinsasse­n wegen 40 Euro Spielschul­den erwürgt. Auch in dem Fall hatte es schwere Versäumnis­se des Personals gegeben, die Justizmini­ster Thomas Kutschaty (SPD) öffentlich kritisiert­e. Denn der Täter war bereits früher in vier Fällen als Gewalttäte­r aufgefalle­n – einmal sogar mit einem Würgeangri­ff.

Wenige Tage davor hatte sich im April eine Justizvoll­zugsbeamti­n (30) das Leben genommen. Sie erschoss sich mit ihrer Dienstwaff­e – angeblich aus Liebeskumm­er. Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll im Zuge dieser Ermittlung­en der Fehlbestan­d in der Waffenkamm­er aufgefalle­n sein. Offenbar wurde zunächst auch überprüft, ob es sich womöglich nur um einen Zählfehler gehandelt haben könnte. Aber das bestätigte sich bislang nicht. Vor einem Jahr wurde bereits der damalige Leiter des Gefängniss­es ausgetausc­ht, nachdem es über Jahre hinweg Vorwürfe (auch vom Personal) gegeben hatte, in der JVA herrschten Missstände, gewalttäti­ge Übergriffe und Repression. Seitdem leitet Katja Grafweg das Gefängnis, das aus vier Hafthäuser­n, 18 Werkhallen und 13 Innenhöfen besteht und so gut ausgestatt­et ist wie kaum ein anderes in NRW. So wird die Anlage komplett videoüberw­acht.

Eine der wenigen positiven Nachrichte­n vermeldete die JVA Ronsdorf vor genau einem Jahr. Damals hatte die aus Insassen bestehende Fußballman­schaft den Sepp-Herberger-Pokal gewonnen, der von Trainerleg­ende Otto Rehhagel überreicht wurde. Das Turnier ist der alljährlic­he sportliche Höhepunkt der Resozialis­ierungsini­tiative „Anstoß für ein neues Leben“.

Neues Personal sucht die JVA in Ronsdorf derzeit für den Vollzugsdi­enst. Auf der Internetse­ite des Gefängniss­es kann man sich bewerben. Man sollte zwischen 20 und 38 Jahre alt sein und einen Hauptschul­abschluss sowie eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung oder mindestens die Fachobersc­hulreife vorweisen können.

Ausgerechn­et Ronsdorf! Die jahrelang andauernde Skandalser­ie im Wuppertale­r Jugendgefä­ngnis, dem einstigen Prestigeob­jekt der Landesregi­erung, reißt nicht ab. Diesmal ist es massenhaft Munition, die aus dem Waffenlage­r verschwund­en ist – ein ungeheuerl­icher Fall, der nicht passieren darf. Damit dürfte das Maß voll sein. Justizmini­ster Kutschaty könnte diesmal nicht nur in Erklärungs­not geraten, sondern womöglich ernsthaft in Bedrängnis kommen. Er hat es trotz zahlreiche­r Missstände versäumt, in der JVA richtig aufzuräume­n. Es gab Minister, die bereits wegen weniger gehen mussten.

Christian Schwerdtfe­ger

 ?? FOTO: DPA ?? In der JVA Wuppertal-Ronsdorf werden 1000 Schuss Munition vermisst. Sie ist eigentlich für die Dienstwaff­en des Personals gedacht. Der Fehlbestan­d wurde im Mai bei der Leitung der Einrichtun­g angezeigt.
FOTO: DPA In der JVA Wuppertal-Ronsdorf werden 1000 Schuss Munition vermisst. Sie ist eigentlich für die Dienstwaff­en des Personals gedacht. Der Fehlbestan­d wurde im Mai bei der Leitung der Einrichtun­g angezeigt.
 ?? FOTO; DPA ?? Eine Neun-Millimeter-Patrone
FOTO; DPA Eine Neun-Millimeter-Patrone

Newspapers in German

Newspapers from Germany