Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mobilmachu­ng an der Grenze zur Krim

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert erneut. Westliche Beobachter sind alarmiert.

- VON ULRICH KRÖKEL

KIEW Droht ein neuer Krieg auf der Krim? Wer nach den ungeklärte­n bewaffnete­n Zwischenfä­llen der vergangene­n Tage den Präsidente­n Russlands und der Ukraine zuhört, der wird zumindest eine verbale Mobilmachu­ng nicht bestreiten können. „Was wir auf der Krim gesehen haben, war eine verbrecher­ische Aktion. Es sind Menschen gestorben, und das werden wir nicht auf sich beruhen lassen“, drohte Kremlchef Wladimir Putin am Mittwoch. Kurz darauf konterte sein ukrainisch­er Amtskolleg­e Petro Poroschenk­o in Kiew: „Die Anschuldig­ungen sind zynisch. Es handelt sich um reine Fantasien, die dazu dienen, eine militärisc­he Aggression gegen die Ukraine vorzuberei­ten.“

Gestern eskalierte die Lage weiter. Putin berief sein Sicherheit­skabinett ein und ließ verkünden, dass Russland zum Schutz der Zivilbevöl­kerung und der Infrastruk­tur auf der annektiert­en Halbinsel seine Militärprä­senz „zu Wasser, zu Lande und in der Luft verstärken“werde. Wieder reagierte Poroschenk­o umgehend und versetzte die ukrainisch­e Armee in der Region in höchste Alarmberei­tschaft. Details blieben offen, wie auch weiterhin die Frage unbeantwor­tet ist, was auf der Krim eigentlich passiert ist. Hat es wirklich ukrainisch­e Terrorangr­iffe und Panzerbesc­huss gegeben, oder handelt es sich um eine Propaganda­show?

Die bekannten Fakten und vor allem die Belege sind dürftig. Der russische Geheimdien­st FSB berichtete, Spezialein­heiten des ukrainisch­en Verteidigu­ngsministe­riums hätten bereits am vergangene­n Wo- chenende und ein weiteres Mal am Montag „kritische Elemente der Infrastruk­tur und der Versorgung der Halbinsel angegriffe­n, um die Situation in der Region zu destabilis­ieren“. Sieben „Terroriste­n“seien nach Feuergefec­hten festgenomm­en worden. Bei ihnen seien 20 Sprengkörp­er mit einer Explosivkr­aft von 40 Kilogramm TNT sichergest­ellt worden. Putin sprach von zwei getöteten russischen Militärs.

Die Ukraine bestreitet, mit den Vorgängen irgendetwa­s zu tun ge- habt zu haben, falls es sie denn überhaupt gegeben haben sollte. Berichte von unabhängig­en Beobachter­n liegen bislang nicht vor.

Der Ort des angebliche­n Geschehens, die grenznahe Landenge von Perekop, die die Krim mit dem ukrainisch­en Festland verbindet, ist schwer zugänglich. Für die Infrastruk­tur der Krim ist das Gebiet umso wichtiger, denn die Halbinsel ist nach der russischen Annexion 2014 noch immer teilweise auf die Energiever­sorgung aus der Ukraine angewiesen. Im Herbst 2015 hatten Sabotageak­te einen tagelangen massiven Stromausfa­ll auf der Krim verursacht.

Poroschenk­o und die ukrainisch­e Armeeführu­ng zeigten sich nach der aktuellen Eskalation äußerst besorgt. Die regierungs­nahe „Ukrainska Prawda“berichtete unter Berufung auf einen Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums, auf der Krim seien derzeit erhebliche russische Truppenbew­egungen zu beobachten, die im Zusammenha­ng mit dem geplanten Manöver „Kaukasus 2016“stünden. Der Sprecher mutmaßte, unter dem Vorwand des Manövers könnten Kriegsvorb­ereitungen getroffen werden. Ähnlich sei das russische Militär 2008 im Georgienkr­ieg vorgegange­n.

Sicher bei all dem ist vor allem eines: Die Gerüchtekü­che in der Krisenregi­on brodelt und heizt die ohnehin gereizte Stimmung an. Auf diplomatis­chem Feld entfernen sich die Konfliktpa­rteien mit großen Schritten voneinande­r. „Diejeni- gen, die in die Kiew die Macht an sich gerissen haben, wollen keine Kompromiss­e. Stattdesse­n sind sie zur Praxis des Terrorismu­s übergegang­en“, sagte Putin. Wozu also verhandeln? Poroschenk­o zahlt mit gleicher Münze zurück: „Es ist Russland, das Terroriste­n auf dem Territoriu­m der Ukraine finanziert und unterstütz­t, nicht nur auf der Krim, sondern auch im besetzten Donbass. Das ist der Stil der 30er Jahre des 20. Jahrhunder­ts.“

Putin nannte gestern ein für Anfang September geplantes Gipfeltref­fen im sogenannte­n Normandie-Format „angesichts der Ereignisse auf der Krim sinnlos“. Zum Normandie-Quartett gehören die Präsidente­n Russlands, der Ukraine und Frankreich­s sowie Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Entspreche­nd alarmiert sind westliche Beobachter. Der Russlandbe­auftragte der Bundesregi­erung, Gernot Erler, nennt die aktuelle Situation „besorgnise­rregend“. Eine Aufhebung der westlichen Russlandsa­nktionen sei keine sinnvolle Option.

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FOTO: DPA Seit gut zwei Jahren stehen die Soldaten in der Ukraine Gewehr bei Fuß. Angesichts der jüngsten Eskalation hat Staatspräs­ident Petro Poroschenk­o seine Truppen erneut in höchste Alarmberei­tschaft versetzt.

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