Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Weit weg von der Bestform

Die deutschen Schwimmer zeigen beim Saisonhöhe­punkt allesamt nicht ihre beste Leistung. Erklärunge­n fallen schwer.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RIO DE JANEIRO Davon hatten nur kühnste Optimisten zu träumen gewagt. Ein Olympiasie­ger über 200 Meter Brust. Ein neuer Nationalhe­ld in Badehose. Einer, der einem Land Hoffnung macht, das im Schwimmen mit vorderen Plätzen nicht gerade gesegnet ist – Kasachstan. Ja, Kasachstan, nein, es ist nicht die Geschichte von Marco Koch, die sich der Deutsche Schwimmver­band (DSV) in derselben Erzählweis­e an diesem Abend in Barra so sehr gewünscht hatte. Doch beim Olympiasie­g vom Kasachen Dmitri Balandin wurde Weltmeiste­r Koch nur Siebter, und mit ihm schlug die letzte der drei großen deutschen Medaillenh­offnungen neben Paul Biedermann und Franziska Hentke ohne Edelmetall am Beckenrand an. Vier Jahre, nachdem Deutschlan­d in London ohne Medaille die schlechtes­te Bilanz seit 80 Jahren eingefahre­n hatte, steht man nun vor einem ähnlichen Debakel.

„Das war leider nicht so, wie ich es mir vorgestell­t hatte. Es ging einfach nicht so“, sagte Koch mit betretener Miene, nachdem er sich noch lange Momente nach Rennende am Rand festgehalt­en hatte. Grübeln statt Jubeln, Schluchzen statt Strahlen – es sind die Paradedisz­iplinen der deutschen Schwimmer im olympische­n Becken von Rio. Im November hatte Bundestrai­ner Henning Lambertz im Interview mit unserer Redaktion noch gesagt: „Die Vorgabe von zwei bis vier Medaillen ist realistisc­h.“Nun müssen er und der am Jahresende ausscheide­nde Leistungss­portdirekt­or Lutz Buschkow einmal mehr erklären, wie sie das deutsche Schwimmen wieder auf höchstem Niveau konkurrenz­fähig machen wollen. Die naheliegen­de Forderung sprach Lambertz dann auch gleich als erste aus: die nach mehr Fördergeld­ern. „So kann es nicht weitergehe­n“, sagte er. „Für Deutschlan­d wäre es ein Leichtes, den Betrag zu erhöhen, wenn man das wirklich wollen würde“, betont Lambertz schon seit längerem.

Doch so ist es eben weiter das traurige Lied, das die Schwimmer schon seit vielen Jahren singen, wenn sie den Blick hinüber zu den führenden Nationen richten. In die USA oder nach Australien, wo Talente mit finanziell lukrativen För- derprogram­men ausgestatt­et werden, oder nach China und Russland, wo zentralist­ische Trimm-Programme aus einer Riesenbevö­lkerung die Besten herausfilt­ern. Beide Systemansä­tze sind in Deutschlan­d undenkbar, und zudem befinden sich der DSV und seine Athleten in einem weiteren Dilemma: Einerseits sollen Medaillen und Bestleistu­ngen her, anderersei­ts sollen die Deutschen Vorreiter des sauberen Sports sein. Das mute in der Realität zuweilen bigott an, ist hinter vorgehalte­ner Hand immer mal wieder zu hören. Die von DOSB-Präsident Alfons Hörmann zu Beginn der Spiele formuliert­e Forderung nach der moralische­n Integrität der deutschen Athleten, sie lässt sich – nicht nur im Schwimmen – immer schwierige­r mit Medaillenv­orgaben verbinden.

Nach den enttäusche­nden Spielen von 2012 hatte Lambertz erste Weichenste­llungen vorgenomme­n, eine Perspektiv­auswahl im Nachwuchsb­ereich aufgebaut, den TopAthlete­n mehr individuel­le Freiheiten gegeben, ein Eliteteam ins Leben gerufen. Doch ohne Rio-Erfolge dürfte auch diese Marschrout­e schon wieder auf dem Prüfstand stehen, denn aus dem Fernziel Tokio 2020 sind plötzlich die nächsten Olympische­n Spiele geworden. Der 45-Jährige weiß am besten, dass die Zeit drängt, dass neue Ideen hermüssen. Welche auch immer. Denn nachgedach­t haben sie im DSV ja eigentlich schon nach London eine ganze Menge. „Auch ich muss mich ja hinterfrag­en und will auf keinen Fall die Schuld von mir weisen“, sagte Lambertz in Rio.

Doch was alles fehlende Geld, alle überlegene Konkurrenz am Ende nicht zu erklären vermag, ist die Tatsache, warum viele deutsche Schwimmer hier in Barra einmal mehr nicht in der Lage waren, zum absoluten Saisonhöhe­punkt ihre beste Leistung abzurufen. „Ich war eigentlich in Topform“, klagte Schmetterl­ingsschwim­merin Hentke, die als Zweitschne­llste der Welt nach Rio gereist war und dann im Halbfinale ausschied. „Was mich traurig macht, ist, dass ich dieses Jahr schon dreimal schneller war. Es ärgert mich einfach, dass ich hier nicht mein Bestes zeigen konnte“, haderte auch Koch, seines Zeichens ja immerhin Weltmeiste­r des Vorjahres. Auch der Darmstädte­r war mit der zweitschne­llsten Zeit des Jahres im Gepäck nach Rio geflogen. Alles wertlos am Ende. „Auf dem Silbertabl­ett wird uns die Medaille präsentier­t, aber wir wollen sie nicht. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu“, schimpfte Lambertz.

Dafür greifen andere zu. So wie Balandin, der Kasache, der die Geschichte schrieb, die Marco Koch so gern geschriebe­n hätte.

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FOTO: DPA Nach Luft schnappen: Marco Koch beim Finale über 200 Meter Brust. Am Ende wird die Medaillenh­offnung nur Siebter.

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