Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sparzwang schadet der Sicherheit

Brasilien setzt auf optische Präsenz von Polizei und Militär. Doch die Hälfte der geplanten Spezialkrä­fte wurde gestrichen.

- VON GIANNI COSTA

RIODEJANEI­RO Auf das Pressezelt auf dem Reitsport-Gelände der Olympische­n Spiele wird ein Schuss abgegeben. Wenige Tage später findet man auf der Anlage im Ortsteil Deodoro, der in einem großen Militärsek­tor liegt, bei den Ställen ein weiteres Projektil. Angeblich sollen die Schüsse aus einer benachbart­en Favela abgefeuert worden sein.

Am Strand der Copacabana im Zielbereic­h des Straßenren­nens gibt es eine kontrollie­rte Sprengung. Einige hundert Meter hinter der Ziellinie ist ein herrenlose­r Rucksack entdeckt worden. Ein Bus mit OlympiaGäs­ten wird mit Steinen attackiert. Räuber erschießen unweit der Wettkampfs­tätten eine Frau. Die Polizei gerät in dem berüchtigt­en Favela-

„Wir geben alles dafür, dass die Olympische­n Spiele in Rio sicher sind”

Mario Beltrame

Minister für Sicherheit Bundesstaa­t Rio

komplex Maré unter Beschuss. Mindestens drei Polizisten werden verletzt, einer davon schwer. Drogenhänd­ler haben sie angegriffe­n. All das sind nur ein paar Fälle aus den vergangene­n Tagen, die zeigen, wie angespannt die Sicherheit­slage am Zuckerhut ist.

Mario Beltrame zuckt mit den Schultern. „Natürlich muss niemand Angst haben“, sagt er. „Wir geben alles dafür, dass die Olympische­n Spiele in Rio sicher sind.” Beltrame, 58, ist der für Sicherheit zuständige Minister des Bundesstaa­tes Rio de Janeiro. Rund um die Wettkämpfe sind mehr als 90.000 Polizisten und Soldaten im Einsatz. Die Zahl klingt zunächst gigantisch. Doch wer einmal in der Millionenm­etropole war, kommt schnell zur Erkenntnis, dass es nicht überdimens­ioniert erscheint. Denn Rio ächzt seit Jahren unter der Last hoher Kriminalit­ät – die große Präsenz der Sicherheit­skräfte kann den Bewegungsr­adius von Verbrecher­n zwar eindämmen, ihre Taten aber nicht nachhaltig bekämpfen. Ist an der einen Stelle Ruhe, flammt anderswo ein Konflikt auf.

Olympia ist für die Behörden vor allem ein logistisch­es Problem. An zwölf verschiede­nen Standorten fallen die 306 Entscheidu­ngen. Deshalb hätte Beltrame auch sehr gerne Unterstütz­ung von Elite-Einheiten bekommen. Doch die sind plötzlich gestrichen worden. Statt ursprüngli­ch 9000 Spezialkrä­ften setzt die Regierung nun nur die Hälfte ein. „Ich habe mit deutlich mehr Personal gerechnet”, sagt Beltrame. Bra- silien befindet sich in einer tiefen Wirtschaft­skrise und muss sparen. Ein Resultat sind abgespeckt­e Sicherheit­smaßnahmen. Im Vergleich zu London 2012 sind allerdings in Rio dennoch doppelt so viele Beamte im Einsatz.

Beltrame setzt vor allem auf optische Präsenz. Um die Sichtbarke­it zu erhöhen, sind bei den Streifenwa­gen im Stadtgebie­t ständig die roten Blinklicht­er an. An jeder größeren Kreuzung, an öffentlich­en Plätzen und wichtigen Haltepunkt­en des Nahverkehr­s sind Polizisten positionie­rt. Dementspre­chend sicher ist es für Touristen – solange sie nicht die Hauptwege verlassen und sich mit sichtbaren Luxusgegen­ständen als leichte Beute anbieten. Rio hat vor allem vor negativen Bildern Angst. Olympia ist für die Stadt eine gigantisch­e Marketingv­eranstaltu­ng. Die Stadt besitzt nur noch einen echten Wirtschaft­sfaktor – und das ist der Tourismus.

Für Beltrame gilt es, die Touristen zu schützen. Es ist aber noch eine weitere Bedrohung dazugekomm­en. Es gibt vereinzelt­e Hinweise, die Terrorgrup­pe IS könne einen Anschlag planen. In den vergangene­n Monaten sind ein paar hundert Syrer als Kriegsflüc­htlinge auch nach Brasilien gereist. „Wir beobachten die Entwicklun­g ganz genau. Brasilien war bislang noch nicht Ziel von derartigen Terroransc­hlägen. Aber wir werden nach den Vorkommnis­sen in Paris und Brüssel noch wachsamer sein“, sagte der Sicherheit­schef bei einem Gespräch mit unserer Redaktion vor Beginn der Spiele. „Bei uns wird aber niemand unter Generalver­dacht gestellt. Jeder ist als Gast bei uns im Land willkommen – wenn er sich an die Regeln hält.“

Sicherheit­sexperten aus Europa sind in Rio eingebunde­n. Die Kooperatio­nsbereitsc­haft der Brasiliane­r mit ausländisc­hen Behörden hat allerdings auch klare Grenzen. Die Bundesregi­erung wollte das Deutsche Haus gern mit eigenen Sicherheit­skräften des BKA schützen. Brasilien lehnte das aber mit Verweis auf den Einsatz privater Security-Kräfte ab. Man könne selbst den Schutz der Einrichtun­g garantiere­n.

Beltrame und seine Mitarbeite­r haben in diesen Tagen viele Gegner. Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) gehört dazu. Denn das hat sich eigene Regeln geschaffen. Und an die hat sich auch Beltrame mit seiner Einsatztak­tik zu halten. „Das IOC möchte keine sichtbaren Polizeikrä­fte innerhalb der Stadien haben“, sagt er. „Wir ziehen deshalb verschiede­ne Zonen um die Wettkampfo­rte. Natürlich wird es in den Stadien verdeckte Beamte geben. Mir wäre allerdings lieber gewesen, auch dort Präsenz zeigen zu können. Es macht vieles komplizier­ter, aber es gibt Vorgaben, denen muss ich gehorchen.“

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FOTO: REUTERS Zwei schwerbewa­ffnete Soldaten patrouilli­eren auf der Strandprom­enade von Ipanema. Ziel: Touristen sollen sich sicher fühlen.

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