Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Milchshake als Monsterportion
Nahrungsmittel werden zum Internet-Trend, wenn sie gut oder besonders grotesk aussehen. Auf die Milchshakes der Burgerkette „What’s Beef“trifft beides zu. Unsere Autorin hat einen getestet.
Das Video zum Test gibt es unter www.rp-online.de/shake
Meine letzte Mahlzeit liegt viereinhalb Stunden zurück, als ich zur Mittagszeit im Burgerrestaurant in der Immermannstraße eintreffe. Ob ich vorher ein paar Pommes oder einen Burger essen wolle, fragt mich Inhaber und Shake-Createur Selim Varol – „als Grundlage?“Nein danke, sage ich höflich. Nur den Shake, bitte. Erste Herausforderung: Welchen nehmen? So profane Kandidaten wie einfach nur „Schoko“oder „Vanille“sind natürlich von vorneherein raus. Der Proteinshake („mit 45 Gramm reinem Eiweiß“, Avocado und karamellisiertem Speck oben drauf) scheidet aus Vernunftgründen aus: Erfahrungsgemäß wird mir schon nach einem Drittel handelsüblichem Proteinriegel schlecht. „Der ist sowieso eher neutral im Geschmack“, sagt Varol, und zeigt mir Fotos vom „Nutella Donut Shake“und dem „I-Scream Sandwich“(„ . . . falls du auf Erdnuss stehst“). Die Wahl fällt schließlich auf das pompöseste Geschoss in der Bildergalerie: der „NY Cheese Shake“(neun Euro), auch liebevoll „Freakshake“genannt. Ich will ja schließlich was erleben! Der Inhaber höchstpersönlich stellt sich an den Mixer. In den außen bereits mit bunten Zuckerperlen – ich möchte sagen: eingesauten – Glashumpen kommt eine Kugel Vanilleeis. Dann schneidet Varol ein rundes Stück Cheesecake (vulgo: Käsekuchen) zurecht. Der Rest vom Kuchen kommt mit zwei weiteren Kugeln Eis in ein Mixgefäß, zusammen mit viel Vollmilch. Während der Mixer mixt, kommt Erdbeersauce ins Glas. Dann der eigentliche Shake. Er gebe mal noch eine weitere Kugel Eis dazu, sagt Varol, an einem heißen Tag wie heute. Das finde ich sehr großzügig angesichts der Tatsache, dass es draußen etwa 20 Grad sind. Obendrauf kommt Schlagsahne. Dann der Käsekuchenring. Dann Schokosauce. Dann Erdbeersauce. Dann viele rosa Zuckerperlen. Dekoration: drei karamellisierte Marshmallows und ein wenig Obst. Normalerweise hätte ich jetzt noch eine brennende Wunderkerze erwartet, aber ganz ehrlich: Dieser Shake braucht das gar nicht.
Einen strategischen Fehler macht, wer diese Kreation als Getränk betrachtet, geeignet zum Befeuchten der Kehle beim Verzehr von Burger und Fritten. Nein, dies ist ein Dessert, eine Zwischenmahlzeit, die man nur dann mit einer vollwertigen Mahlzeit kombinieren sollte, wenn man eine ernsthafte Schilddrüsenüberfunktion hat, nur noch einen Tag zu leben, ein Kind im Bauch. Oder vielleicht, wenn man Michael Phelps heißt. „Geil“, ruft ein kleines Mädchen am Nebentisch, vor sich einen Nutellashake. „Das ist ja das Beste, was ich je gegessen habe!“
Zwar sagt Varol, ich solle nicht Kalorien zählen, sondern einfach genießen. Aber im Kopf überschlage ich trotzdem: vier Kugeln Vanille à 150 Kalorien, 100 Gramm Käsekuchen 250 Kalorien, ein Glas Vollmilch 130 Kalorien plus der ganze Süßkram . . . Yup, ein Extremshake deckt vermutlich ein gutes Drittel meines Tagesbedarfs. Ohne mich dabei mit Vitaminen, Mineralien oder Ballaststoffen zu belästigen.
Anfangs zögere ich noch: Löffel oder Strohhalm? Wie vorgehen, wo anfangen? Schließlich sauge ich mal probeweise am Strohhalm, der die Cheesecake-Decke durchstoßen hat. Man braucht ziemlich spezielle Fähigkeiten, um an den trinkbaren Teil des Shakes zu kommen, aber schließlich schaffe ich es. Schmeckt gut. Erschreckend normal – nach Vanille und Milch.
Zwischendurch bleiben immer mal ein Kuchenbrocken und eine Zuckerperle im Halm stecken. Gelegentlich greife ich zum Löffel und spachtele Käsekuchen, Käsekuchen mit Sahne, Sahne mit Käsekuchen und Vanillemilch. Die unfassbare Süße wird angenehm durchbrochen durch das leicht Säuerliche des Käsekuchens. Fürs Crunch-Erlebnis gibt es die Perlen. Ab und an knabbere ich ein Eckchen Marshmallow. Ich rühre und löffele, löffele und rühre: Ja, so lässt es sich leben.
„Irgendwie kann ich nicht mehr“, sagt das Mädchen am Nebentisch verblüfft. Ich kann nicht genau erkennen, wie weit es mit seinem Shake ist, aber auch ich stelle mit wachsender Verzweiflung fest, dass der sich im Glas befindliche Bodensatz nicht weniger wird. Ich fühle mich satt und klebrig. Mag sein, dass ich es in der Vergangenheit einmal zu oft übertrieben habe und mein Körper deshalb inzwischen schon beim bloßen Verdacht auf Zucker-Overload Notsignale sendet. Aber mir ist tatsächlich ein bisschen schlecht.
Zeit, aufzugeben. Zeit, das Tablett mit den aufgeweichten Marshmallows und den Kuchenbrocken zurückzubringen. Zeit für den Heimweg. Es sagt sicher vieles über den Shake, aber noch mehr über mich, dass ich mich bereits an der ersten Ampel – zwischen zwei Bäuerchen – denken höre: „Das nächste Mal nehme ich den mit Donut.“