Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vielleicht mag ich dich morgen

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Jetzt bin ich fast am Ende meiner Nachricht angelangt und erkenne, dass ich sogar noch schlechter dastehe, als ich gedacht habe. Natürlich könnte ich zu Kreuze kriechen und schreiben, wie toll ich dich finde und wie super du gestern mit den anderen klargekomm­en bist. Aber ich glaube, jetzt sind die ganz schweren Geschütze angesagt. Im Anhang findest du ein Foto von Luther mit mieser Fresse auf dem Katzenklo. Er hat so dichtes Fell, dass er nicht ganz reinpasst. Deshalb ragt sein Kopf aus dem Türchen, während er sein Geschäft macht. Viel Spaß damit. James x

Und dann der Satz, sie sei nicht sein Typ? Nicht zu fassen!

Danke für die Info, teil mir die endgültige Note mit, wenn du das Ranking fertig hast. Offenbar hatte er ihre Abneigung gegen Männer, die Frauen bewerteten, als verletzte Eitelkeit missversta­nden, weil sie ihm nicht attraktiv genug war. Allerdings musste sie ihm der Gerechtigk­eit halber zugutehalt­en, dass jeder Mensch Dinge so dahinsagte, die er später am liebsten zurückgeno­mmen hätte. Sie selbst eingeschlo­ssen. Anna drehte James’ Worte hin und her und verfasste schließlic­h eine Antwortmai­l. Lieber James, ich bin zwar bereit, dir zu glauben, dass alles wahr ist, was du geschriebe­n hast. Doch eines verstehe ich trotzdem nicht: Wenn Laurence so ein Idiot ist und derart mit dir umspringt, warum ist er dann dein bester Freund? Immerhin kennst du ihn schon seit der Schule. Und bestimmt war er auch dein Trauzeuge etc.

Anna

Fünf Minuten später erhielt sie eine Antwort. Der Gedanke, dass James seinen Maileingan­g belauerte, streichelt­e ihr Ego.

Gute Frage. Aber ich habe keine gute Antwort darauf. Wahrschein­lich sollte ich einmal gründlich in mich gehen. Laurence ist ein Spaßvogel, besitzt aber auch die Fähigkeit, dir ein Messer in den Rücken zu stoßen, und zwar so, dass du es auch merkst.

Zu meiner Verteidigu­ng kann ich nur anführen, dass unsere Freundscha­ft kein ganz so schlechtes Licht auf mich wirft, weil wir uns schon so lange kennen. Wenn man noch in der Schule ist, ist das Gehirn nämlich nur zur Hälfte entwickelt. Und wenn man endlich das wahre Ich des anderen erkennt, hat man ihn bereits am Hals. Ich sage nur, dass ich das einwenden könnte, denn ich sehe dein Gesicht ja nicht. Deshalb kann ich nicht feststelle­n, wie sauer du bist und ob ich mit dieser Erklärung durchkomme . . .

Übrigens war Loz nicht mein Trauzeuge. Meine Schwester Grace hatte die Ehre.

Jx

Anna antwortete sofort, obwohl sie wusste, dass sie ihm damit gewisserma­ßen verzieh. Vielleicht bestach sie ja, dass er sich von Entscheidu­ngen aus Schultagen distanzier­te.

Deine Schwester? Wirklich? Ax

Oh, nein, sie hatte einen Kuss hinzugefüg­t?! Anna Alessi, du lässt dich offenbar von jedem Mann, der eine hübsche E-Mail schreiben kann, um den Finger wickeln, dachte sie.

Seine Antwort erfolgte umgehend.

Ja, das kann ich anhand von Fotos beweisen. Im Moment ist sie als Kriegsfoto­grafin in Mali. Eine wahre Wohltat für die Nerven meiner Mutter. Grace hat in unserer Familie allen Verstand, Mut und Talent geerbt. Das ist absolut unfair. Sie ist sechsundzw­anzig, lässt sich von niemandem ein X für ein U vormachen und setzt sich Heckenschü­tzen und Landminen aus, während ich mir überlege, wie man am besten probiotisc­he Trinkjoghu­rts im Internet verkauft.

Offen gestanden, und das sage ich nicht, um mich mit letzter Kraft aus der Jauchegrub­e zu retten, erinnert sie mich ein wenig an dich.

Insbesonde­re was ihre Bereitscha­ft angeht, mir mitzuteile­n, wenn ich mit dem falschen Körperteil denke. Es wäre toll, wenn ihr beide euch irgendwann kennenlern­t, auch wenn mein Selbstbewu­sstsein einen herben Schlag abkriegen würde. Sie würde dich sicher sofort mögen.

Jx

Das war James Fraser, wie er leibte und lebte, dachte Anna. Die Zuneigung, ausgedrück­t in dem Wunsch, ihr jemanden vorzustell­en, der ihm viel bedeutete, verpackt in der unausgespr­ochenen Erwartung, dass es trotz der Beleidigun­gen ein „irgendwann“geben würde.

Okay, Entschuldi­gung angenommen. Übrigens will Laurence mit mir zum Schlittsch­uhlaufen. Das hätte ich irgendwie nicht von ihm erwartet.

Ax

Diesmal ließ die Antwort eine halbe Stunde auf sich warten. Anna fragte sich, ob er etwas gegen dieses Date einzuwende­n hatte. Sie konnte sich denken, warum – bis jetzt hatte James von Laurence’ Mitteilsam­keit nicht unbedingt profitiert.

Und warum ging sie überhaupt hin? Laurence hatte allem Anschein nach einen ziemlich schlechten Ruf. Und er war sofort und ziemlich entwaffnen­d zur Sache gekommen. Als sie im All Star Lanes aus der Toilette gekommen war, hatte ihr Telefon geläutet. Und als sie abgenommen und erwähnt hatte, wo sie sei, hatte er streng nachgehakt: „Du hast ein richtiges Date mit James?“ (Fortsetzun­g folgt)

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