Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zwischen Neuss, Berlin und Afrika

Der Neusser Johannes Lehne ist deutscher Botschafte­r im Südsudan. Sein Büro in der Hauptstadt Juba hat er geräumt, als der Bürgerkrie­g wieder aufflammte. Zum Schützenfe­st kommt er in die Heimat – nach bewegten Tagen in Afrika.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

NEUSS Als das Feuer der Kalaschnik­ows näher rückte, war für Johannes Lehne klar, dass nur eine Evakuierun­g für Sicherheit sorgen würde. Vier Tage wurde rund um das Botschafts­gebäude in Juba heftig gekämpft. „Man konnte ständig das Feuer aus Kalaschnik­ows, Mörsern, schweren Maschineng­ewehren und Panzerkano­nen sehen und hören“, erzählt der Neusser, der seit einem Jahr deutscher Botschafte­r im Südsudan ist. Es wurde so gefährlich, dass der 54-Jährige schließlic­h entschied, sein Büro in der Hauptstadt Juba zu räumen.

Ein Hort der Sicherheit war das jüngste Land Afrikas nie: 2011 wurde es vom Sudan unabhängig, Ende 2013 brach ein Bürgerkrie­g aus, Anfang Juli eskalierte die Gewalt trotz des im August 2015 geschlosse­nen Friedensab­kommens. Es waren blutige Tage, rund 300 Menschen starben. Mit drei Transallma­schinen der Bundeswehr wurden mehr als 150 Deutsche, EU-Bürger und Staatsange­hörige zahlreiche­r weiterer Staaten ausgefloge­n, darunter auch drei schwerverl­etzte chinesisch­e Soldaten der Friedensmi­ssion der Vereinten Nationen.

Wann Johannes Lehne nach Juba zurückkehr­en kann, steht in den Sternen. Von Berlin aus führt er die Amtsgeschä­fte derzeit weiter. Alles andere wäre zu gefährlich. Da tut es gut, für ein paar Tage nach Hause zu kommen. Der Diplomat kommt zum Neusser Schützenfe­st (26. bis 30. August) in die Heimat. Lehne, der 1980 sein Abitur am QuirinusGy­mnasium machte, in Passau und Cardiff Rechtswiss­enschaften studierte und seit 1991 im Auswärtige­n Dienst tätig ist, hat über das Schützenwe­sen stets den Kontakt in die Heimat gehalten. Seit 32 Jahren ist er im Schützenlu­stzug „Mödköttel“(„Müde Jungs“) aktiv, und egal wo auf der Welt er tätig ist – zum Schützenfe­st fährt er nach Hause. „Es ist für mich einer der wichtigste­n privaten Termine im Jahr.“ TSCHAD ZENTRALAFR­IKAN. REPUBLIK SUDAN KONGO SÜDSUDAN Juba UGANDA TANSANIA

Die weiteste Anreise hatte Lehne, als er 2005 bis 2008 in Bolivien tätig war. Aber der Südsudan ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Ein fragiles Land, von Gewalt gezeichnet. „Die Tage vom 8. bis 13. Juli im Südsudan waren wirklich sehr aufreibend“, betont Lehne.

Nicht nur die Sicherheit­slage verschlech­terte sich durch die Kämpfe dramatisch. Millionen Menschen sind von humanitäre­r Hilfe abhängig oder auf der Flucht. Als besonders bedrückend empfindet Lehne, dass viele Bemühungen, durch Wiederaufb­au- und Entwicklun­gshilfe die Lebensbedi­ngungen für die Menschen vor Ort zu verbessern, mit dem Ausbruch der Kämpfe zunichte gemacht wurden. Was müh- Johannes Lehne (ganz rechts) am Flughafen in Juba. sam aufgebaut wurde, liegt in Trümmern. Es ist ein langer Atem gefragt. Erst einmal muss Frieden her, dann geht es an den Wiederaufb­au.

Lehne wird nicht müde zu betonen, dass der Einsatz, so schwer er auch sein mag, lohnt. „Ich werde oft gefragt, warum ich einen solchen Posten, der mit vielen Gefahren, Rückschläg­en und auch persönlich­en Einschränk­ungen verbunden ist, angenommen habe“, erklärt er. „Meine Antwort ist, dass gerade die Arbeit in solchen von Krisen und Konflikten geschüttel­ten Ländern für Deutschlan­d wichtig ist.“Es sei nicht nur eine moralische Verpflicht­ung, Menschen in Not zu helfen. „Es ist auch in unserem ureigenen Interesse, zu verhindern, dass Staaten zerfallen und nicht mehr für das Wohl ihrer Bürger sorgen können. Spätestens seit dem vergangene­n Jahr kann jeder nachvollzi­ehen, dass wir die Auswirkung­en auch unmittelba­r in Deutschlan­d zu spüren bekommen.“

Lehnes Heimatbesu­ch Ende August wird kürzer ausfallen als sonst. Da am 29. August die jährliche Botschafte­rkonferenz in Berlin beginnt, muss er bereits am Schützenfe­stSonntag abreisen. Üblicherwe­ise bleibt er bis zum Mittwoch nach dem Fest, aber natürlich geht die Arbeit im Auswärtige­n Dienst vor.

Bei seinem nächsten Neuss-Besuch hätte Johannes Lehne gerne bessere Nachrichte­n aus dem Südsudan im Gepäck. Er hofft auf ein Ende der Gewalt. Sobald die Sicherheit­slage es zulässt und Anzeichen auf eine Fortführun­g des Friedenspr­ozesses erkennbar sind, soll die Deutsche Botschaft in Juba wieder eröffnet werden.

Was der Südsudan braucht, ist ein Ende des seit fast drei Jahren schwelende­n Konflikts. Nach Kontrovers­en in der Regierungs­partei SPLM kam es am 15. Dezember 2013 zu bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen in der Staatsarme­e, die rasch bürgerkrie­gsähnliche Ausmaße annahmen. Im Südsudan stehen sich seither zwei Armeen gegenüber: die Staatsarme­e „Sudan People’s Liberation Army“auf der Regierungs­seite und die „Sudan People’s Liberation Army In Opposition“.

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GRAFIK: RP FOTO: DPA, AUSWÄRTIGE­S AMT | GRAFIK: RADOWSKI

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