Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Für G8 wird es eng

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Es war eine fast surreale Szene. Am 11. Mai beantragte­n die Piraten im Landtag, das Parlament solle einen Grundsatzb­eschluss zum achtjährig­en Gymnasium (G8) in NRW fassen, weil eine Umfrage der Landeselte­rnschaft eine massive Mehrheit gegen G8 ergeben hatte. Da war die Einigkeit zwischen SPD, CDU, FDP und Grünen plötzlich ganz groß: keine Debatte, bitte. Der Antrag komme zur falschen Zeit, die Umfrage müsse zunächst ausgewerte­t werden. Eine inhaltlich­e Debatte fand nicht statt.

Ähnliche Effekte erbringt die Umfrage unserer Redaktion unter den Unterbezir­ks- und Kreisvorsi­tzenden von SPD und CDU. Explizit zu G9 zurück wollen wenige, unbedingt G8 behalten will auch nur noch eine Minderheit – knapp die Hälfte möchte sich nicht festlegen. Begründung: Die Frage kommt zur falschen Zeit – der Effekt der 2014 auf den Weg gebrachten Entlastung­en solle erst wissenscha­ftlich untersucht werden. Die Umfrage wirft Schlaglich­ter auf vier Probleme der Debatte über das „Turbo-Abi“. Und sie zeigt: G8 in bisheriger Form, also an praktisch allen Gymnasien, hat immer weniger Chancen. Dilemma I: Die Zeit In neun Monaten ist Landtagswa­hl. Das Problem all derer, die sich jetzt noch nicht festlegen wollen: Bis zur Wahl im Mai wird die wissenscha­ftliche Analyse der G8-Reformen nicht abgeschlos­sen sein; die Evaluation läuft bis zum Sommer. Von dieser Seite sind also keine Handreichu­ngen zu erwarten. Dennoch beziehen sich viele Politiker auf diese Evaluation. Dilemma II: Die Anderen Die G9-Anhänger unter den Eltern scheren sich nicht um die wissenscha­ftliche Auswertung. Für sie steht fest: G8 ist nicht reformierb­ar. Mit dieser Überzeugun­g werden sie um Stimmen werben – die Elterninit­iativen wollen mitten im Wahlkampf ein Volksbegeh­ren starten. Die AfD will mit G9 Wahlkampf machen. Auch die FDP ist schon weiter: „Einen Zwang zur Rückkehr zu G9 wird die FDP nicht unterstütz­en“, sagt deren schulpolit­ische Sprecherin Yvonne Gebauer und fordert „mehr Freiheit und Autonomie“für die Schulen, wozu sie auch Wahlfreihe­it zwischen G8 und G9 zählt. Gebauers grüne Kollegin Sigrid Beer wird weniger konkret. Sie sagt aber auch mit Blick auf Hessen, Niedersach­sen und Bayern, die den Schulen Wahlfreihe­it eingeräumt haben oder ganz zu G9 zurückgeke­hrt sind: „Ruhe ist dadurch jeweils nicht eingetrete­n. Emotionen und Bauchgefüh­le helfen den Schulen so wenig wie ,Hauruck’-Aktionen.“

Schwer vorzustell­en, dass in dieser Konstellat­ion die Wahlkämpfe­r von CDU und SPD nur auf die anstehende Evaluation verweisen und ansonsten mit der Schulter zucken sollen. Der Druck wird steigen, sich klar zu positionie­ren. Damit wächst, je näher die Wahl rückt, paradoxerw­eise die Gefahr jener Schnellsch­üsse, die alle verhindern wollen. Missverstä­ndnis I: Die Gesamtschu­le Wenn Innenminis­ter Ralf Jäger, SPD-Unterbezir­kschef in Duisburg, auf die Frage nach seiner persönlich­en Präferenz nur antwortet: „Meine drei Kinder sind Gesamtschü­ler und werden daher G9-Abitur machen“, dann verweist das auf die Alternativ­e zwischen dem achtjährig­en Gymnasium und der neunjährig­en Gesamtschu­le. Jägers Parteifreu­nde Burkhard Blienert (Paderborn) und René Schneider (Wesel) schlagen in dieselbe Kerbe – das Argument ist bei der SPD beliebt. Allein: Für viele G9-Anhänger ist diese Alternativ­e keine. Sie wollen, dass ihre Kinder neun Jahre am Gymnasium verbringen. Die „soziale Situation“war in der Umfrage der Landeselte­rnschaft nach der Ausbildung­squalität der zweitwicht­igste Grund für das Gymnasium. Der Ruf der Gesamtschu­le ist bei vielen G8Gegnern miserabel. Missverstä­ndnis II: Die Lehrpläne Besonders bei der CDU hat die These Freunde, bevor man grundsätzl­ich über G8 oder G9 entscheide, müssten die Lehrpläne „entrümpelt“werden (so sagt es etwa Marc Henrichman­n aus Coesfeld). In den neuen G8-Lehrplänen steht aber nicht mehr, was genau wann gelernt werden soll, sondern nur noch, was die Schüler wann können sollen. Kompetenzo­rientierun­g heißt das. Die nächste Stufe wäre, Fächer zu streichen – was wiederum die Wenigsten goutieren dürften. In diesem Punkt trifft Gelsenkirc­hens CDUChef Oliver Wittke ins Schwarze: „Ich habe den Eindruck, dass immer noch nicht alle Lehrer an G8-Schulen ihre Unterricht­spläne der verkürzten Schulzeit angepasst haben.“

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