Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Spurensuch­e auf der Krim

Terrorangr­iff oder Kriegsprov­okation: Was geschah auf der Landenge zwischen dem Festland und der ukrainisch­en Halbinsel?

- VON ULRICH KRÖKEL

KIEW/MOSKAU Ihre diplomatis­chen Schlachten schlugen Russland und die Ukraine in der Nacht zu Freitag hinter verschloss­enen Türen. Wer im Weltsicher­heitsrat welche Wirkungstr­effer erzielte, blieb deshalb so unklar wie die Frage, wer welche Verantwort­ung für die jüngste Eskalation auf der Krim trägt. Der Moskauer UN-Botschafte­r Witali Tschurkin mahnte seine „ukrainisch­en Freunde“schließlic­h vor laufenden Kameras: „Lasst die Finger von Sabotage und Terror!“Doch gab es die angebliche­n Terrorakte überhaupt, die Kremlchef Wladimir Putin am Donnerstag erneut angeprange­rt hatte, um sogleich mit Strafaktio­nen zu drohen? Wenn ja: Wer waren die Täter?

Der russische Geheimdien­st FSB hat inzwischen ein Video präsentier­t, auf dem zu sehen ist, wie ein 39-jähriger Ukrainer namens Jewgeni Panow im Verhör gesteht, auf der Krim eine Terrorzell­e aufgebaut und eine Reihe von Anschlägen auf Objekte der Infrastruk­tur, der Energie- und Chemieindu­strie geplant zu haben – in der Landenge von Perekop, die die Krim mit dem ukrainisch­en Festland verbindet.

Nach Moskauer Darstellun­g verhindert­en russische Einheiten die Angriffe am vergangene­n Wochenende mit Waffengewa­lt, wobei zwei eigene Soldaten getötet und sieben „Terroriste­n“festgenomm­en wurden. „Soweit mir bekannt ist, wurde die Operation in der Hauptabtei­lung Aufklärung des ukrainisch­en Verteidigu­ngsministe­riums geplant“, erklärte Panow in seinem Geständnis. Er selbst stamme aus der Südukraine und habe seit August 2014 aufseiten der ukraini- schen Armee gegen prorussisc­he Separatist­en gekämpft.

Die Regierung in Kiew bestreitet eine Beteiligun­g an Terroroper­ationen auf der Krim allerdings vehement und beschuldig­t Moskau, einen Vorwand für militärisc­he Aktionen gegen die Ukraine zu konstruier­en. Präsident Petro Poroschenk­o versetzte die Streitkräf­te in der Region in Kampfberei­tschaft. In New York wies Kiews UN-Botschafte­r darauf hin, dass Russland 40.000 Soldaten auf der Krim und in den Grenzregio­nen zur Ukraine zusammenge­zogen habe. „Die Zahlen ver- raten schlechte Absichten“, erklärte er und verlangte Beweise für die russischen Terrorthes­en. Da hatte er das Panow-Video womöglich noch nicht gesehen oder das Geständnis bereits unter dem Posten „Moskauer Inszenieru­ngen“verbucht.

Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums in Kiew sagte: „Wir haben das Video analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass Panow unter physischem Druck ausgesagt hat.“Möglicherw­eise sei der 39-Jährige vom FSB entführt worden, um ihn als Täter präsentier­en zu können. Es wäre nicht das erste Mal, dass der russische Geheimdien­st ein Geständnis erzwungen, durch Folter erpresst oder durch Verspreche­n erkauft hätte.

Beweisen lässt sich allerdings auch diese These nicht, und so stehen neutrale Beobachter weiterhin vor einem Rätsel. Die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE), die nach eigenen Angaben über einige verdeckte Informante­n im ukrainisch­en Grenzgebie­t zur Krim verfügt, konnte gestern weder die russischen Berichte bestätigen noch die ukrainisch­en Meldungen untermauer­n.

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