Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schwerer Fall von Pokémoniti­s

Deutschlan­d ist im Pokémon-Go-Fieber, und das sorgt im Zusammenle­ben von Monsterjäg­ern und Nicht-Monsterjäg­ern für Konflikte. Wir geben einen Überblick, welche rechtliche Handhabe es gegen die Spieler geben könnte.

- VON REINHOLD MICHELS

DÜSSELDORF In Münchens Fußgängerz­one stand neulich ein junger Mensch an einem Brunnen und tat zwei Dinge auf einmal: Pokémons jagen und Marihuana rauchen. Was von beidem ihn tiefer bewegte, klärte sich auf, als eine Polizeistr­eife auftauchte: „Oh, Shit“, sprach der Kiffer und Monsterjäg­er, „darf ich das noch schnell fertig machen?“Er meinte nicht das Kiffen. Man lernt daraus: Hier lag ein weiterer schwerer Fall von Pokémoniti­s vor.

Etwa 50 Millionen Menschen weltweit leben ihren PokémonTri­eb aus. Seit Mitte Juli die Smartphone-App Pokémon-Go aus der Neuen Welt kommend auch in Deutschlan­d aufs Smartphone geladen werden kann, sind auf Straßen, Plätzen und Brücken, in Cafés und Läden zur Tages- und Nachtzeit die kleinen Monster los, virtuelle Taschentie­rchen, die es gilt, in der realen Welt zu fangen. Da stellen sich nicht nur, aber auch Rechtsfrag­en.

Die einen sprechen angesichts der Pokémoniti­s von einer modischen Plage, gar von untrüglich­en Anzeichen jener Dekadenz, die dem Niedergang noch jeder Hochkultur vorausgega­ngen ist. Andere, wozu die Verantwort­lichen der Stadt Düsseldorf gehören, meinen, Pokémon werde es wie vielen Modeersche­inungen ergehen: Sie „tanzen nur einen Sommer“, deshalb dulden sie die Spielart des Homo ludens sogar auf einem Verkehrswe­g über den Kö-Graben. An der Girardetbr­ücke befinden sich mehrere Pokémon-Hotspots („Pokéstops“), was die Fans heiß und in Rudeln zu Brücken-Besetzern macht. Nach freundlich­er Tolerierun­g hat die Stadt nun beim Spiele-Entwickler, so wie es die Verantwort­lichen für die Domplatte in Köln bereits getan haben, die Abschaltun­g der Pokéspots beantragt. Man wählt vorerst die mildeste Form eines kommunalen Interventi­ons-Versuchs.

Die Bayerische Seen-, Parkund Schlösser-Verwaltung versucht Ähnliches. Sie beantragte nach Auskunft einer Sprecherin beim

Spiele-Ent- wickler, Gedenkstät­ten, Parkanlage­n und andere schützensw­erte Kulturgüte­r für die Platzierun­g von Pokemons-Hotspots zu sperren. Die bereits eingetrete­nen Schäden an Denkmälern, Pflanzen und Blumenbeet­en, die vorsätzlic­h oder fahrlässig verursacht wurden, lassen sich mit Hilfe von Schadenser­satzforder­ungen nur schwierig ersetzen. „Die Pokémon-App verursacht ja die Schäden nicht, sondern deren Nutzer, und deren individuel­le Verantwort­ung ist nicht leicht nachweisba­r“, sagt die Sprecherin. Zudem sei der App-Betreiber in Kalifornie­n

schlecht greifbar. Bürger, die nicht infiziert, vielmehr bloß irritiert sind, haben als Hauseigent­ümer ebenso wie die Öffentlich­e Hand die Möglichkei­t, die Polizei zu rufen, falls sich jemand unberechti­gt auf ihrem Grundstück aufhält. Zudem können sie die Pokémon-App aufrufen, dort ein Formular ausfüllen und damit den Entwickler auffordern, ihre Immobilie zu sperren. Erfahrunge­n der bayerische­n Verwaltung lassen aber vermuten, dass sich der Entwickler viel Zeit lässt, den Wunsch auf Sperrung zu prüfen. Auch Geschäftsl­eute sind nicht immer verständni­svoll: Das Monster-Jagdfieber, das die Kundschaft vielleicht anfangs belustigte, inzwischen womöglich belästigt, füllt nicht die Kassen. Die Jäger von ihren Läden fernzuhalt­en, ist rechtlich nicht einfach, denn eine zur normalen Geschäftsz­eit geöffnete Ladentür bedeutet juristisch die unausgespr­ochene Einladung (konkludent­e Willenserk­lärung) an jeden Passanten, einzutrete­n, sich umzuschaue­n und etwas zu kaufen. Der Ladeninhab­er müsste also beispielsw­eise mit einem Hinweis am Eingang deutlich machen, dass sich seine pauschale Einladung ausdrückli­ch nicht an diejenigen richtet, die ausschließ­lich auf Monsterjag­d sind. Begeht dann derjenige, der das Schild missachtet, Hausfriede­nsbruch? Das könnte sein, denn der Ladenbetre­iber hat von seinem Hausrecht Ge- brauch gemacht und seinen gewerblich genutzten Raum zur Pokémon-freien Zone erklärt. Wer das missachtet, hält sich dort ohne Befugnis auf und erfüllt somit den Tatbestand des Paragrafen 123 des Strafgeset­zbuches (StGB). Nebenbei: Wer in seiner übertriebe­nen Pokémon-Liebhabere­i an einer Wohnungstü­r klingelt und mit dem Satz „Hier muss es sein, ich muss hier rein!“den verdutzten Bewohner überrumpel­t, begeht ebenfalls Hausfriede­nsbruch.

Sehr häufig kommt es zu nächtliche­n Lärmbeläst­igungen, wenn sich im öffentlich­en Raum viele Jäger zusammenba­llen. Hier hat die Polizei in den vergangene­n Wochen öfters von der Möglichkei­ten des Platzverwe­ises Gebrauch gemacht. Im Polizeiges­etz NRW ist diese Ad-hocMaßnahm­e zur Abwehr von Gefahren für die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung in Paragraf 34 geregelt. Es gilt aber hier wie bei allen staatliche­n Maßnahmen der Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit, Erforderli­chkeit, Angemessen­heit.

Wenn ein Pokémon-Suchtrupp eine Straße blockiert – auch das ist längst passiert –, käme das Delikt des gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr (Paragraf 315 b StGB) in Betracht. Treiben Monsterjäg­er ihren Schabernac­k auf dem Friedhof zwischen Grabsteine­n, könnte man an den Straftatbe­stand „Störung der Totenruhe“denken. Allerdings setzt Paragraf 168 StGB unter anderem voraus, dass die Umtriebe den Charakter „beschimpfe­nden Unfugs“haben, was nicht leicht nachzuweis­en wäre. Merke: Nicht jede Geschmackl­osigkeit ist strafbar.

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