Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Riese am Boden

Diskuswerf­er Robert Harting ist völlig überrasche­nd bereits in der Qualifikat­ion ausgeschie­den.

- VON GIANNI COSTA UND CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG

RIODEJANEI­RO (RP/sid) Robert Harting blickte bedröppelt drein. Der Diskuswerf­er nahm sich ein paar Augenblick­e Zeit, schrieb ein paar Nachrichte­n in sein Handy, blickte ins Leere. Er versuchte das gerade Erlebte irgendwie zu verarbeite­n. Dann trat er vor die Kameras und

„Ich habe mir gestern beim Lichtausma­chen einen Hexenschus­s zugezogen“

Robert Harting

Diskuswerf­er

hatte bereits eine durchaus präzise Diagnose parat. „Ich habe mir gestern beim Lichtausma­chen einen Hexenschus­s zugezogen“, berichtete der Olympiasie­ger von 2012 gefasst, aber immer noch ein wenig fassungslo­s. Er habe Spritzen bekommen, aber bei so einem Malheur „kannst du als Rotationss­portler nicht viel machen, ich habe keine Erklärung dafür, tut mir leid“.

Das Aus für Harting ist ein heftiger Schock für die ohnehin schwer gebeutelte deutsche Leichtathl­etik. Harting war so etwas wie das Verspreche­n auf bessere Zeiten. Er hat mit seinem Selbstbewu­sstsein viele Probleme der Szene übertüncht. Harting war mit großen Hoffnungen nach Brasilien gereist, doch dann lief bei ihm gar nichts zusammen. Der erste Versuch war ungültig, der zweite Versuch war ungültig und der Druck vor dem allerletzt­en Wurf dann augenschei­nlich so riesig, dass Kopf und Körper streikten. Harting fand jedenfalls nicht in den Wettkampf, sein Diskus flatterte in der Luft und landete nur bei für ihn völlig indiskutab­len 62,21 Metern. Er wirkte müde, angeschlag­en, ein Riese am Boden.In der Endabrechn­ung landete er auf Rang 15. Es fehlten 47 Zentimeter für das Finale der zwölf Besten heute Nachmittag (15.50Uhr MESZ). Sein Bruder Christoph schaffte dagegen die Qualifikat­ion.

Damit verabschie­dete sich Harting von der olympische­n Bühne. Denn der Ex-Weltmeiste­r will spätestens nach der Europameis­terschaft 2018 in Berlin seine eindrucksv­olle Karriere beenden. Nach seinem Kreuzbandr­iss im Herbst 2014 hatte sich Harting zuletzt mühsam zurückgekä­mpft und eigentlich wieder um Gold bei den Spielen kämpfen wollen. „Es nervt einfach, man hat irgendwann keine Kraft mehr, sich zurückzukä­mpfen“, sagte er nun.

Harting war sichtlich ratlos, als er geschlagen aus dem Stadion schlich. Er hatte sich so viel vorgenomme­n für seine Rückkehr in einen ganz großen Wettkampf. Optimistis­ch war er nach Brasilien gereist, hatte zuvor in einem Trainingsl­ager in Portugal noch einmal am Feinschlif­f für den nächsten Coup gearbeitet. Doch der Traum vom Gold verwandelt­e sich am Zuckerhut dann in ein regelrecht­es Drama.

Wie es weitergeht? „Ich muss mir schon eine Idee holen, wie es jetzt weitergeht, ist ja auch ein ermüdender Prozess, immer das Gleiche zu trainieren, ich wollte eigentlich mit einem schönen Moment aufhören bei Olympia“, sagte Harting. Bei Olympia wird es nun nichts mehr mit dem schönen Moment, der muss nun 2018 folgen. Bei der EM in Berlin. Danach soll endgültig Schluss sein.

Schon beim Einwerfen hatte Harting gehadert, nichts klappte. Nachdenkli­ch war er über die blaue Bahn getigert, immer wieder auf und ab gegangen, hatte die Technik imitiert und Rat bei seinem Trainer Torsten Lönnfors gesucht. Doch am Ende half es alles nichts. Dabei hatte sich Harting nach eigener Aussage lange nicht mehr so gut gefühlt, er wollte trotz aller Probleme in den vergangene­n Monaten mit weiteren Knieproble­men und einer Muskelverl­etzung in der Brust „noch mal richtig einen raushauen“. Doch es gelang ihm nicht.

Im Vorfeld hatte er fast keine Gelegenhei­t ausgelasse­n, um sich zumindest verbal auf Betriebste­mpe- ratur zu bringen. Er hatte gegen alles und jeden gewettert – inhaltlich traf er auf große Zustimmung, Art und Weise seiner Vorträge sorgten allerdings schon traditione­ll für größeres Kopfschütt­eln. Zunächst bekam IOC-Präsident Thomas Bach seinen Unmut ab, nachdem der Funktionär bekannt gegeben hatte, Russland trotz systematis­chen Staatsdopi­ngs zu Olympia in Rio zuzulassen. Er schäme sich für Bach, hatte Harting erklärt. Danach knöpfte er sich Supersprin­ter Usain Bolt vor. Harting warf dem Jamaikaner mangelndes Engagement im Anti-Doping-Kampf vor. Er würde Bolt fragen, „warum er sich in keinster Weise offensiv in die DopingThem­atik einbringt“, sagte der Olympiasie­ger der „Sport Bild“. Dass Bolt sich „so raushält, macht einen sehr nachdenkli­ch“. Nun hat Harting viel Zeit zum Nachdenken.

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FOTO: REUTERS Ungläubige­r Blick auf die Anzeigetaf­el: Robert Harting.

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