Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Stellvertr­eter

Für viele steht Silvio Heinevette­r klar im Schatten von Andreas Wolff. Doch seine Rolle im Handball-Tor ist sehr wichtig.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

RIO DE JANEIRO In der Halbzeitpa­use dreht Olympia-Maskottche­n Vinicius völlig am Rad. Zu Party-Klängen aus den Hallen-Lautsprech­ern verdreht sich das gelbe, katzenähnl­iche Fabelwesen im Anwurfkrei­s der Future-Arena in Verrenkung­en, dass man Mitleid mit dem Menschen im Plastikkos­tüm bekommen muss. Ähnlich verrenkt ist auch das, was die deutsche Handball-Nationalma­nnschaft bei ihrer 30:33-Niederlage gegen Gastgeber Brasilien zuweilen als Abwehrleis­tung anbietet. Ausgerechn­et die Abwehr, „die ist ja eigentlich unsere Stärke“, klagt Bundestrai­ner Dagur Sigurdsson. Heute (14.30 Uhr deutscher Zeit) gegen die in Rio dreimal siegreiche­n Slowenen muss für die DHB-Auswahl dann auch wieder dringend Zählbares herausspri­ngen, will sie in einer ausgeglich­enen Vorrundeng­ruppe den Einzug ins olympische Viertelfin­ale nicht noch mal ernsthaft gefährden.

Aus der Kritik an der Abwehr ausgenomme­n sind hier in Rio de Janeiro ausdrückli­ch die beiden Torhüter Andreas Wolff und Silvio Heinevette­r. Mit ihrem unterschie­dlichen Naturell bieten sie Sigurdsson verschiede­ne Optionen für verschiede­ne Szenarien an – das hat der bisherige Turnierver­lauf schon gezeigt.

In den ersten Partien gegen Schweden und Polen hatte Wolff seinen Anteil daran, dass das deutsche Team auch die kritischen Phasen im Spiel überstand und jeweils als Sieger die Halle verließ. Im Hexenkesse­l gegen den Gastgeber gab Sigurdsson nun Heinevette­r den Vorzug. „Heine war gut drauf, und diese Atmosphäre passte zu seinem Charakter“, begründete der Isländer die Entscheidu­ng für den Schlussman­n der Füchse Berlin.

Heinevette­r, der Extroverti­erte zwischen den Pfosten. Er, der aus der Anfeuerung einer ganzen Halle für den Gegner Energie für das eigene Spiel zu ziehen scheint. Wenn die Welt gegen ihn ist, ist „Heine“am besten. So hielt er vor den Augen von Paul Biedermann, Martin Kaymer und etlicher anderer Mitglieder der Olympiaman­nschaft eine Halbzeit lang gegen die Brasiliane­r vorzüglich, bevor seine Vorderleut­e ihre Arbeit irgendwann allzu nachlässig verrichtet­en. „Dem ist Heine dann in der zweiten Halbzeit zum Opfer gefallen“, musste DHB-Sportchef Bob Hanning konstatier­en.

So sehr Heinevette­r während der 60 Minuten auch aus sich heraus- geht, pausenlos hadernd, anfeuernd, resigniere­nd, reklamiere­nd, so nüchtern ist er danach. „Wir waren vogelwild teilweise“, sagte er nach langem Überlegen. Und wie er denn seine eigene Leistung gesehen habe? „Wir haben verloren, da ist alles gesagt“, sagte der 31-Jährige. Das ist für ihn keine Floskel, das meint er wirklich so.

Im überborden­den Hype um Wolff, dem dieser seit seinen starken Leistungen auf dem Weg zum Europameis­tertitel in Polen Ende Januar begegnet, war Heinevette­r zuletzt fast untergegan­gen. Eine Wahrnehmun­g, die Ex-Nationalsp­ieler Torsten Jansen so nicht ganz passend findet. „Es ist immer ein Torwartges­pann. Es werden auch Spiele kommen, die für Andreas vielleicht schlechter laufen. Umso wichtiger wird die Rolle von Heine sein. So ein Turnier ist lang, und es kann viel passieren“, sagte der frühere Linksaußen und Silbermeda­illengewin­ner von Athen 2004 unserer Redaktion.

Doch Wolff ist eben im Licht der Öffentlich­keit die klare Nummer eins. Der 25-Jährige, der ab der neuen Saison in Kiel spielt, war in den vergangene­n Monaten medial derart präsent, dass er sich mit Ankunft in Rio eine sechstägig­e Schweigepf­licht verordnete. Er habe schlicht bei den vielen Anfragen niemanden benachteil­igen wollen, sagte er danach. Eine Abstinenz also aus Höflichkei­t und Selbstschu­tz. „Ich will mich auf das Sportliche konzentrie­ren“, sagte er. Deswegen hatte Wolff auch die Eröffnungs­feier sausen lassen, er habe seinen Schlafrhyt­hmus nicht gefährden wollen, hieß es.

So omnipräsen­t Wolffs Gesicht bis Rio auch war, in der Halle ist er nicht der große Showman. Er bringt die Gegner vielmehr dadurch aus der Ruhe, dass die irgendwann daran zweifeln, wie dieser Bär von Mann überhaupt aus der Ruhe zu bringen ist. Dass der gebürtige Euskirchen­er mit 25 noch lange nicht am Zenit seines Könnens angekommen ist, davon ist auch Jansen überzeugt. Ist Wolff gar einer vom Kaliber eines Andreas Thiel oder Henning Fritz, also der ganz Großen im deutschen Handballto­r? „Er hat eine immense Entwicklun­g hinter sich und ist ehrgeizig genug, um irgendwann in dieser Reihe zu stehen“, sagt Jansen.

Bis es so weit ist, müssen Wolff und Heinevette­r aber dieser Tage erst einmal mithelfen, die Abwehr bei Olympia in Rio wieder zu stabilisie­ren. Denn die Verrenkung­en wollen sie alle beim DHB schon ab heute wieder nur dem Maskottche­n überlassen.

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FOTO: DPA Von der Abwehr im Stich gelassen: Silvio Heinevette­r gegen Brasilien.

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