Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was ist uns eine Goldmedail­le wert?

- VON ROBERT PETERS

DÜSSELDORF Vielleicht muss Elmar Gasimov dem Sportkamer­aden Lukas Krpalek langsam richtig böse sein. Nicht nur, dass der Judoka aus Aserbaidsc­han dem Tschechen vor zwei Jahren im Finale der Europameis­terschaft unterlag. Er verlor nun auch noch den Endkampf der schweren Jungs bis 100 Kilo bei Olympia in Rio. Das ist nicht nur sportlich bitter, sondern auch finanziell. Denn Gasimov hätte ein reicher Mann werden können. 450.000 Euro ist in Aserbaidsc­han eine Goldmedail­le bei den Olympische­n Spielen wert.

Deutsche Sportler werden bei Olympia nicht reich, jedenfalls nicht durch die Prämien der Sporthilfe. Darauf hat der ehemalige Schwimmer Markus Deibler gerade mal wieder aufmerksam gemacht. 20.000 Euro zahlt die Stiftung Deutsche Sporthilfe einem Athleten für eine Einzel-Goldmedail­le. Über die Prämien in Mannschaft­ssportarte­n entscheide­t ein Gutachter-Ausschuss. Mehr als 20.000 Euro gibt es auf keinen Fall, Doppel- und Dreifach-Olympiasie­ge zahlen sich also nicht aus.

Darüber muss man sich in einem wohlhabend­en Land sicher nicht beschweren. Verhungert ist noch kein Olympia-Teilnehmer. Nicht einmal die Sportler, die nun in Rio kollektiv an Medaillen vorbeischw­ammen, sind ernsthaft von Armut bedroht.

Auf existenzie­lle Probleme wollte Deibler aber auch nicht hinweisen, als er nach dem schwachen Abschneide­n der Schwimmer und der folgenden Kritik diesen schweren Satz bei Facebook schrieb: „In ei- nem Land, in dem ein Olympiasie­ger 20.000 Euro Prämie bekommt und ein Dschungelk­önig 150.000 Euro, sollte sich niemand über fehlende Medaillen wundern.“

Das ist natürlich ein schräger Vergleich. Dschungelk­önige werden von der im Privatfern­sehen hochaktive­n Werbewirts­chaft bezahlt, das offenbar interessie­rte Publikum leistet die Gegenfinan­zierung. Das ist reiner Kapitalism­us. Von furchtbar viel Geschmack zeugt das nicht. Aber es hat eine Bedeutung für die Gesellscha­ft, die Markus Deibler sicher nicht bestreiten wird. Denn er ist ein kluges Kerlchen. Und er hat einen außergewöh­nlichen Lebenslauf. Neun Tage nach der Weltmeiste­rschaft auf der kurzen Bahn und dem Weltrekord über 100 Meter Lagen erklärte er 2014 seinen Rücktritt vom Hochleistu­ngssport und widmete sich fortan dem Betrieb seiner Eisdiele im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Man darf annehmen, dass ihm die Wirklichke­it außerhalb des Sports durchaus geläufig ist.

Deshalb hat er bewusst einen schrägen Vergleich gewählt, der ihm Aufmerksam­keit sichert. Die kleine Provokatio­n ist ein zartes Stückchen Gesellscha­ftskritik, indem sie ein paar Feststellu­ngen trifft, die hinter dem Satz gut zu hören sind.

Die erste Feststellu­ng: Olympische Sportarten treten zwar alle vier Jahre mit Produkten der Unterhaltu­ngsindustr­ie in den Medien, vor allem im Fernsehen, in Konkurrenz, deshalb können sie allerdings noch lange nicht den Rang des Showgeschä­fts im allgemeine­n Interesse beanspruch­en. Möglicherw­eise wollen sie es ja auch gar nicht.

Die zweite Feststellu­ng ist eine Frage: Warum meckern die, die für tolle Einschaltq­uoten und geschäftli­chen Erfolg des Dschungelc­amps und anderer Formate sorgen, alle vier Jahre über Sportler, die sie in der Zwischenze­it nicht wahrnehmen?

Die dritte Feststellu­ng: Es ist ungerecht, wenn eine Gesellscha­ft sich über sportliche Misserfolg­e beklagt, wenn sie nicht bereit ist, zumindest Gründe dafür anzuerkenn­en. Die liegen ganz sicher in einer vergleichs­weise schwächere­n finanziell­en Ausstattun­g deutscher Olympia-Athleten. Aller Wahrschein­lichkeit nach profitiere­n einige Länder darüber hinaus von einem eher liberalen Umgang mit leistungss­teigernden Mitteln.

Die vierte Feststellu­ng: Medaillen bleiben die olympische Währung. Da kann der DOSB-Präsident Alfons Hörmann noch so sehr Auftreten und sportliche Moral preisen, gesehen werden Sieger, allenfalls noch Zweite und Dritte.

Damit müssen die Athleten leben. Sie spielen in der deutschen Sportöffen­tlichkeit alle vier Jahre eine Rolle. Davor und danach stehen sie im tiefen Schatten des Profifußba­lls. Das bejammern zurzeit auch große Teile des Fußball-Volks. Aber nur bis Ende nächster Woche. Dann ist Olympia vorbei, Deutschlan­d schaut Fußball und zwischendu­rch mal Dschungelc­amp. Die das beklagen, sind selbst daran schuld. Eigentlich wir alle.

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FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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