Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die ganze Welt in drei Worten

Dank der App „what3words“ist erstmals jedes Fleckchen Erde präzise, aber einfach benennbar. Das erleichter­t Treffen auf Liegewiese­n – und hilft Milliarden Menschen, die bislang mangels Postadress­e offiziell kaum existieren.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

DÜSSELDORF Eine Postadress­e macht nicht bloß ein Stück Erdoberflä­che zu einem echten Ort. Sie ist auch das Stück Identität, das einen Menschen schlussend­lich zum Bürger macht.

Bis zu vier Milliarden Menschen in aller Welt sind nicht zuverlässi­g postalisch zu erreichen – und damit unsichtbar für Unternehme­n, Behörden, Entwicklun­gshelfer und Ärzte. Die Einrichtun­g eines Adresssyst­ems sei „der erste Schritt auf dem Weg dazu, dass sie ihre Bürgerrech­te wahrnehmen könnten“, betonen die Vereinten Nationen. Wer keine Adresse hat, kann in der Regel kein Konto eröffnen, nicht wählen, keine Firma gründen, keiner Gewerkscha­ft beitreten, sich nicht an einer Universitä­t einschreib­en oder auch nur eine Schule besuchen.

Ein Adresssyst­em ist ein in weiten Teilen der Welt sträflich ignorierte­s Stück Infrastruk­tur, das bares Geld wert ist. Sein Fehlen kostete laut der Weltbank selbst das winzige Costa Rica (fünf Millionen Einwohner) mehr als 700 Millionen Dollar – Jahr für Jahr. Denn allgemeinv­erständlic­he Adressen erleichter­n Kommunikat­ion und Handel und reduzieren Zeitverzug, Frust sowie die Zahl unfreiwill­iger Postrückse­ndungen.

Außerdem sind sie eine Grundvorau­ssetzung für Tourismus – das beste Essen und die schönsten Aussichtsp­unkte sind irrelevant, wenn niemand den Weg dorthin findet.

Es ist also keine Nerd-Spielerei, dass das britische Start-up „what3words“jedem Ort der Erde eine neue „Adresse“aus drei einmalig zufällig kombiniert­en Worten verpasst hat. Die ersten Kurierdien­ste und Hilfsorgan­isationen verteilen damit bereits Moskitonet­ze und Solarzelle­n in Slums und Flüchtling­slagern, die Staatspost der weitestgeh­end straßennam­enlosen Mongolei setzt hochoffizi­ell auf die App. Von der Idee profitiere­n könnte aber fast jeder Erdenbürge­r. Auch hierzuland­e kann schließlic­h das Zueinander­finden komplizier­t werden, selbst wenn keine Menschenma­ssen das gegenseiti­ge Erkennen auf den letzten Metern erschweren. Viele Orte sind schlicht zu groß – und nicht alle so gut unterteilt und beschilder­t wie Flughäfen oder Fußballsta­dien: schon mal versucht, sich im Rheinpark zu verabreden, der sich kilometerw­eit durch Düsseldorf zieht? Oder verspätet eintreffen­de Freunde zum eigenen Handtuch auf der Liegewiese im Freibad zu lotsen? Oder Partygäste in die Grillhütte im Wald? Da stößt Sprache schnell an ihre Grenzen – aber der Austausch von GPS-Koordinate­n ist einem dann doch zu umständlic­h. Denn es ist ja nicht so, als ob es an Möglichkei­ten mangeln würde, Orte eindeutig zu beschreibe­n: Diverse virtuelle Gitternetz­e überziehen unseren Planeten. Mit deren Hilfe kann man sich metergenau verabreden – sobald man sich geeinigt hat, mithilfe welches Systems: Zur Auswahl stehen dafür neben dem von Navigation­sgeräten bekannten GPS etwa der Open Location Code, UTM und QDGC, WMO squares, C-squares und Marsden squares, Georef und Geohash36 sowie der Natural Area Code. Das Problem: Mit den damit erzeugten Ketten aus Zahlen sowie teils auch Groß- und Kleinbuchs­taben können nur Computer umgehen. Für Menschen sind sie ungeeignet: zu abstrakt, zu fehleranfä­llig und nahezu unmöglich zu merken. Die Genauigkei­t dieser Codes mit der Einfachhei­t von Worten verbindet nun „what3words“. Dessen Gründer Chris Sheldrick war in seinem alten Leben im Musikgesch­äft wiederholt daran gescheiter­t, Instrument­e an die richtigen Türen von Konzerthal­len liefern zu lassen. Denn was der eine für die Haus- nummer 716 hält, interpreti­ert der nächste als 710 und ein anderer als 71b. Das passiert, wenn man brav den S42-Standard der Universal Postal Union nutzt, das seit dem späten 19. Jahrhunder­t bestehende System aus Vorund Nachnamen, Straße und Hausnummer, Ort, Ortsteil und Postleitza­hl. So macht es die halbe Welt. Aber eben nur die halbe. Und selbst in dieser, „unserer“Hälfte der Welt gibt es Besonderhe­iten: Viele Berliner Straßen etwa sind nicht im „Zickzack“nummeriert, gerade Nummern hier, ungerade gegenüber, sondern per „Hufeisen“– fortlaufen­d bis zum Ende der Straße und von dort zurück. In Venedig und Teilen Japans hängt die Hausnummer vom Alter des Gebäudes ab. In vielen ländlichen Gebieten Indiens und Afrikas gleichen Adressen eher Wegbeschre­ibungen, in Ruanda etwa wird die Position eines Hauses relativ zu Bergen und Hügeln sowie Bauwerken wie Schulen oder Brücken beschriebe­n. Deshalb hat auch „what3words“-Gründer Sheldrick ein Gitternetz erdacht, es besteht aus 57 Billionen Quadraten mit einer Kantenläng­e von drei Metern. Der Clou: Die unverwechs­elbare „Adresse“jedes einzelnen besteht aus drei Worten, etwa „bezahlen.kartoffel.kobold“(auf der Kölner Domplatte) oder „schlafen.davor.biss“(vor dem Reichstag). Benötigt werden dazu bloß 40.000 englische Vokabeln – auf Deutsch reichen sogar 25.000, weil hier der Einfachhei­t halber nur alle Landfläche­n adressiert sind. Die Drei-WortAdress­en sind von den Entwickler­n per Zufallsgen­erator vergeben und fix – zumindest im Englischen. Die deutsche Version ist noch im Beta-Stadium, also in der Testversio­n. Dass der Haupteinga­ng des Landtags in Düsseldorf als „nebenan.dusche.phänomenal“eingetrage­n ist, dürfte sich trotzdem nicht mehr ändern. Nur bei eindeutig unglücklic­hen Kombinatio­nen von Wort und Ort bessern die Entwickler nach, Schimpfwör­ter sind ohnehin nicht dabei. Zugriff auf die Karten von „what3words“gibt es per Browser – oder, nach einmaligem Download der App, auch ohne dauerhafte Internetve­rbindung. Um seine DreiWort-Adresse anderen mitzuteile­n, sind SMS, WhatsApp, Facebook oder E-Mail dann natürlich wieder von Vorteil – aber es ginge auch mündlich, per Brieftaube oder per Zweig in den Sand gemalt. Weil man sich keine Koordinate­n merken muss, keine Postleitza­hl, noch nicht einmal eine Hausnummer, sondern einfach nur drei Worte.

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