Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Netzpoliti­sches Manifest für die Piraten

Der Landtagsab­geordnete Joachim Paul (Piraten) will die konzeption­elle Arbeit seiner Partei vorantreib­en – unabhängig vom Wahlergebn­is 2017. Zum Bundespart­eitag legt er ein „Netzpoliti­sches Manifest für das Informatio­nszeitalte­r“vor.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

NEUSS Das leise Klackern der Computerta­statur aus dem Nebenzimme­r wirkt fast schon komponiert. Joachim Paul sitzt in der Fraktionsg­eschäftsst­elle der Piraten in der Neusser Innenstadt, nebenan werden E-Mails in die Tastatur gehackt. Ein Soundtrack, der die passende Atmosphäre schafft. Paul beugt sich in seinem Stuhl vor und nimmt den Laptop auf den Schoß. Dann zeigt er ein Schriftstü­ck, es trägt den Titel „Netzpoliti­sches Manifest für das Informatio­nszeitalte­r“. Ende des Monats möchte Joachim Paul es auf dem Bundespart­eitag der Piraten einreichen – mit Antrag auf Aufnahme in den Kanon der Partei.

Das Manifest passt zu Joachim Paul. Der 58-Jährige hat ein Faible für konzeption­elle Arbeit. „Das ist meine Leidenscha­ft“, sagt er. Natürlich weiß er, dass es für die Piraten mit Blick auf die NRW-Landtagswa­hl am 14. Mai 2017 schlecht aussieht. In aktuellen Umfragen liegt die Partei bei höchstens einem Prozent; es scheint, als würden die Piraten nach nur einer Legislatur­periode im Landtag wieder ausgeschif­ft. Der Düsseldorf­er Hafen rückt dann wieder aus der Sichtweite – und gefragt ist konzeption­elle Arbeit. „Daran werde ich mitwirken“, sagt Paul. Natürlich hat er den Wunsch, im Landtag zu verbleiben, nicht über Bord geworfen. Selbstvers­tändlich würde es ihm gefallen, wenn die Piraten dort weiter ankern könnten. Schließlic­h hat er seine Begeisteru­ng für die parlamenta­rische Arbeit entdeckt. Und, klar, er würde vieles gerne mit auf den Weg bringen. Aber er sagt auch: „Das Leben hat mehr Seiten als hauptberuf­lich Politiker zu sein.“

Themenarbe­it, das ist Joachim Pauls Ding – nicht die große Show, nicht das Schauspiel auf der politi- schen Bühne. Sein netzpoliti­sches Manifest ist durchaus spannend. Es geht um Fragen wie die Finanzieru­ng der Sozialsyst­eme der Zukunft. „Wir sind von der Arbeits- auf dem Weg in die Tätigkeits­gesellscha­ft“, sagt Paul. „Wenn in einer RoboterMas­chinenstra­ße nur noch drei statt vorher 300 Menschen arbeiten, dann stellt sich die Frage: Was machen die anderen 297?“. Dazu brauche es Konzepte, und dafür möchte der Neusser Denkanstöß­e liefern. Um die Sozialsyst­eme am Laufen zu halten, müsse zum Beispiel über eine Automatisi­erungsdivi­dende nachgedach­t werden, eine Art Roboter-Steuer. „Kollege Roboter“, sagt Joachim Paul gerne.

Dieser „Kollege Roboter“werde die Arbeitswel­t immer weiter revolution­ieren. „Viele in der Politik denken gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Prozesse immer noch von der Industrieg­esellschaf­t her“, sagt Joachim Paul. „Aber das ist vorbei.“Man befinde sich bereits mit den ersten Schritten im Informatio­nszeitalte­r, das sei bei vielen noch nicht angekommen.

Wer mit Joachim Paul über die Entwicklun­g der digitalisi­erten Welt spricht, der fühlt sich durchaus an Yuval Noah Hararis Erfolgsbuc­h „Eine kurze Geschichte der Menschheit“erinnert. In seinem internatio­nalen Bestseller gliedert der Historiker die Menschheit­sgeschicht­e in vier wesentlich­e Scheidepun­kte, die das Leben grundlegen­d veränderte­n: die kognitive Revolution (die Entwicklun­g der Sprache), die landwirtsc­haftliche Revolution (die das Zusammenle­ben größerer Gemeinscha­ften erst ermöglicht­e), die Vereinigun­g der Menschheit (durch grenzübers­chreitende Kapital- und Warenström­e sowie einigende Ideen wie Weltreiche und Religionen) bis hin zur wissenscha­ftlichen Revolution. Das Informatio­nszeitalte­r schließt da an, im Hier und Jetzt. Man könnte auch sagen: Es handelt sich um die digitale Revolution.

Joachim Paul knüpft da mit seinem Manifest an. Der Piratenpar­tei werde er auf jeden Fall erhalten bleiben, sagt er. Egal, wie die Landtagswa­hl 2017 ausgehe. „Ich bin ein politische­r Mensch, und das werde ich bleiben.“Ob er noch einmal kandidiert, lässt er offen. Er könne in seinen alten Beruf beim Medienzent­rum Rheinland zurück. „Das ist ein großer Luxus.“

 ?? NGZ-FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE ?? Joachim Paul konzentrie­rt sich auf die Themenarbe­it – die Bühne für die große Polit-Show überlässt er lieber anderen.
NGZ-FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE Joachim Paul konzentrie­rt sich auf die Themenarbe­it – die Bühne für die große Polit-Show überlässt er lieber anderen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany