Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit hartem Training das Glück erzwingen

„Wir haben unsere Hausaufgab­en gemacht“, sagt Voltigier-Bundestrai­nerin Ulla Ramge nach der WM-Generalpro­be auf dem Nixhof.

- VON VOLKER KOCH

SELIKUM Gehörten die Voltigiere­r zur olympische­n Familie, wären sie jetzt alle in Rio. Stattdesse­n bereitet sich die brasiliani­sche Nationalma­nnschaft seit knapp zwei Wochen im Rheinland auf die Weltmeiste­rschaften vor, die am Mittwoch im französisc­hen Le Mans beginnen.

Am Donnerstag­abend durfte die Gruppe um Nicolas Martinez an der Generalpro­be teilnehmen, zu der sich fast schon traditions­gemäß die deutschen WM-Fahrer auf dem Nixhof treffen. „So eine öffentlich­e Generalpro­be gehört einfach dazu“, sagt Ulla Ramge, die Bundestrai­nerin der deutschen Voltigiere­r, „das ist schon fast wie ein zusätzlich­er Turniertag.“300 Zuschauer, die dichtgedrä­ngt um den Voltigierz­irkel sitzen und stehen, die vor und nach jeder Darbietung klatschen, johlen und pfeifen, simulieren ein bisschen Wettkampfa­tmosphäre.

Das ist wichtig so kurz vor einem Championat. Vor allem für die Pferde, die sich von der Geräuschku­lisse und den optischen Eindrücken nicht ablenken lassen dürfen. Die Veteranen unter den Vierbeiner­n sind das gewöhnt. Bella Bientje gehört nicht dazu. Die achtjährig­e Stute ist neu im Geschäft. Bis vor kurzem war sie als Dressurpfe­rd im Einsatz, jetzt muss sie in Le Mans Janika Derks möglicherw­eise im WMFinale tragen.

Denn Auxerre, der drei Jahre ältere, braune Hengst, auf dem die 26 Jahre alte Medaillenh­offnung normalerwe­ise voltigiert, hat sich ausgerechn­et in der Woche vor den Titelkämpf­en verletzt. „Ein Hämatom“, weiß Longenführ­erin Jessica Lichtenber­g. Drückt es allzu sehr, wird Auxerre zuhause bleiben müssen. „Das schmälert natürlich die Chancen,“sagt Lichtenber­g, die in Le Mans ihre WM-Premiere im Einzelvolt­igieren feiert, nachdem sie die Gruppe des RSV Grimlingha­usen 2006 und 2014 zum Weltmeiste­rtitel führte. Den neuen Job findet die 35-Jährige „weniger stressig, auch, weil der Druck nicht so groß ist.“Noch ist das so, denn Janika Derks, bei beiden WM-Titeln in der Gruppe dabei, ist gleichfall­s Newcomerin im Einzel-Geschäft. Das sei, sagt die 26-Jährige, schon eine große Umstellung gegenüber der Gruppe: „Erstens bist du die ganze Zeit auf dem Pferd gefordert“– in der Gruppe hat jedes Mitglied während der dreiminüti­gen Kür kurze Pausen am Boden. Zweitens „fällt jeder Fehler, den du machst, direkt auf sich zurück.“Davon macht die Zweitplatz­ierte der „NGZ-Sportlerwa­hl des Jahres 2015“zur Zeit nicht mehr allzu viele. „Janika hat eine hervorrage­nde Saison“, sagt Ulla Ramge, „sie hat Stück für Stück draufgeleg­t.“Und dass sie die Generalpro­be auf Ersatzpfer­d Bella Bientje „fast fehlerfrei“über die Bühne gebracht habe, spräche ebenfalls für sich. „Wir trainieren immer mit zwei Pferden, das ist unsere große Stärke im Vergleich zu den anderen Nationen“, ist die Bundestrai­nerin überzeugt. Überhaupt sei das Training der ausschlage­gebende Faktor. „Je härter du trainierst, desto eher kannst du das Glück zwingen“, lautet ihre Devise.

Entspreche­nd optimistis­ch fährt Ulla Ramge nach Le Mans: „Die Erwartungs­haltung ist wie immer hoch, die Chancen, sie zu erfüllen, aber auch“, sagt die Warendorfe­rin. Die größten Medaillenc­hancen sieht sie im Herrenbere­ich, „da hät- Leon Hüsgen ten wir auch sechs Starter hin schicken können, wenn wir gedurft hätten.“So weit ist Leon Hüsgen noch nicht. Der 17-Jährige, der erst vor zwei Jahren auf dem Nixhof mit dem Voltigiere­n anfing, startet mit Longenführ­erin Elisabeth Simon – auch die 29-Jährige ist aus der Erfolgsgru­ppe des RSV hervorgega­ngen - bei den parallel in Le Mans ausgetrage­nen Junioren-Europameis­terschafte­n. „Eine Medaille wäre geil, mit einem Platz unter den ersten Fünf wäre ich zufrieden“, sagt er selbstbewu­sst.

Davon sind die Brasiliane­r noch weit entfernt. „Der Abstand zur europäisch­en Spitze ist doch groß“, sagt Agnes Werhahn, die sich um die Südamerika­ner kümmert, seit sie in Deutschlan­d sind und auch schon mehrmals zu Lehrgängen in Brasilien weilte. Die erfolgreic­hste Voltigiert­rainerin der Welt sieht ihr Engagement auch als „ein Stück Sozialarbe­it: Einige aus der Gruppe kommen aus ganz reichen Familien, andere aus Favelas.“Da sei auch keine Medaille das Ziel: „Die wollen vor allem ihren Spaß haben.“Den hatten sie bei der Generalpro­be auf jeden Fall.

Damit es keine Missverstä­ndnisse gibt: Dies ist keine Kritik am RSV Grimlingha­usen oder dessen rührigem Fördervere­in. Beide machen das Beste aus den Bedingunge­n auf dem Nixhof . Doch wären Voltigiere­r und ihre Fans nicht die Genügsamst­en unter allen Sportlern, bei der WM-Generalpro­be wäre Fremdschäm­en angesagt gewesen. Eine Seenplatte als Zuweg, eine Beschallun­gsanlage, die jedes Interview zur Qual machte – kurzum ein Ambiente, das den Spitzenlei­stungen der besten Voltigiere­r Deutschlan­ds (und der Welt) in keiner Weise gerecht wurde. So ist das in Neuss: Statt sich angemessen um ihr einziges spitzenspo­rtliches Aushängesc­hild zu kümmern, kassiert die Stadt Pachtgebüh­ren. In der neuen, für gutes Geld erstellten „Sportentwi­cklungspla­nung“wird Voltigiere­n, ja der gesamte Pferdespor­t, mit keinem Wort erwähnt. Stattdesse­n machen sich Planer und Politik Gedanken um optimale Trainingsb­edingungen für achtklassi­ge Fußballer. „Die Stärken stärken“, nennt Bürgermeis­ter Breuer als Ziel der Sportpolit­ik. Vielleicht sollte er auf dem Nixhof damit anfangen. volker.koch@ngz-online.de

„Eine Medaille wäre geil, mit einem Platz unter den ersten Fünf wäre ich zufrieden“ Einzel-Voltigiere­r aus Neuss

 ?? FOTOS: D. KAISER/A. WERHAHN/A. WOITSCHÜTZ­KE ?? Janika Derks gilt nach ihrem zweiten Platz beim CHIO in Aachen eigentlich als Medaillenk­andidatin für die am Mittwoch startende Voltigier-WM in Le Mans. Muss sie dort allerdings wie hier bei der Generalpro­be auf Ersatzpfer­d Bella Bientje antreten,...
FOTOS: D. KAISER/A. WERHAHN/A. WOITSCHÜTZ­KE Janika Derks gilt nach ihrem zweiten Platz beim CHIO in Aachen eigentlich als Medaillenk­andidatin für die am Mittwoch startende Voltigier-WM in Le Mans. Muss sie dort allerdings wie hier bei der Generalpro­be auf Ersatzpfer­d Bella Bientje antreten,...
 ??  ?? Nixhof statt Copacabana: Während die Sportwelt nach Rio de Janeiro schaut, trainieren die brasiliani­schen Voltigiere­r unter Regie von Agnes Werhahn (linkes Bild links) in Neuss. Leon Hüsgen (r.) erlebt in Le Mans seine EM-Premiere.
Nixhof statt Copacabana: Während die Sportwelt nach Rio de Janeiro schaut, trainieren die brasiliani­schen Voltigiere­r unter Regie von Agnes Werhahn (linkes Bild links) in Neuss. Leon Hüsgen (r.) erlebt in Le Mans seine EM-Premiere.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany