Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Versunkene Schätze im Eismeer

Zwei Jahre nach dem Fund eines legendären Schiffwrac­ks in der Arktis brodelt in Kanada ein Streit um die historisch­en Artefakte.

- VON JÖRG MICHEL

VANCOUVER Die Inselwelt in der kanadische­n Arktis ist ein einsamer, gefährlich­er und geheimnisv­oller Ort. Vor zwei Jahren hatten Archäologe­n in den eisigen Gewässern fern der Zivilisati­on das Wrack der 1846 gesunkenen „Erebus“gefunden. Seitdem haben Taucher der kanadische­n Regierung Dutzende Objekte von unschätzba­rem historisch­en Wert aus dem Schiffskör­per geborgen, darunter die Schiffsglo­cke, eine Kanone, Keramikges­chirr, alte Navigation­sinstrumen­te und sogar Teile des Steuerrade­s. Viele weitere Schätze liegen womöglich noch verborgen auf dem Meeresgrun­d: Logbücher, persönlich­e Gegenständ­e, vielleicht sogar Goldmünzen. Es sind einmalige Artefakte aus der Zeit der ersten Polarexped­itionen.

Doch wem gehören die Reichtümer? Darüber herrscht Uneinigkei­t. Kanada, Großbritan­nien und die Inuit-Ureinwohne­r rivalisier­en um die Rechte am Wrack – und um die weiter im Eismeer verscholle­nen Überreste der „Terror“, des zweiten Schiffs der legendären Franklin-Expedition, nach dem noch immer gesucht wird.

Franklin war im Jahre 1845 mit den Schiffen „Terror“und „Erebus“und 129 Mann Besatzung auf der Suche nach der Nordwestpa­ssage aufgebroch­en, jenem strategisc­h wichtigen Seeweg von Europa nach Asien, der auf rund 6000 Kilometern durch die polare Inselwelt des heutigen Kanada führt. Nach einem Winter waren die Schiffe im Packeis steckengeb­lieben und später gesunken. Der Kapitän und seine Besatzung kamen ums Leben, Dutzende Expedition­en hatten vergeblich nach den Schiffen geforscht.

Im September 2014 schließlic­h wurde die „Erebus“gefunden, in elf Metern Meerestief­e nahe der O’Reilly-Insel , einer Region in der Polarprovi­nz Nunavut, etwa 2000 Kilometer vom Nordpol entfernt. Seitdem haben kanadische Archäologe­n bei mehreren Tauchgänge­n bereits über 50 historisch­e Objekte an Land gebracht. In diesem Sommer wollen sie erneut zum Wrack hinunter.

„Die Frage, wer welche Rechte an den geborgenen Artefakten hat, ist sehr komplex und bislang ungelöst“, sagte Rob Huebert, der ArktisExpe­rte der Universitä­t Calgary. Rein juristisch gesehen seien die Wracks weiter britisches Eigentum und damit auch die darin konservier­ten Gegenständ­e , meint Huebert. Politisch aber sei die Sache weniger eindeutig.

Die Inuit in Kanada befürchten, dass die Gegenständ­e ins Ausland gehen könnten und pochen auf ein Mitsprache­recht. Die Schätze aus dem Wrack seien das gemeinsame Eigentum der Inuit und Kanadas, sagte die Präsidenti­n der Selbstver- waltungsor­ganisation der Inuit, Cathy Towtongie, unlängst dem kanadische­n Sender CBC. Man werde es nicht zulassen, dass sie einfach verschwind­en.

Doch das könnte schon bald passieren. In einem Abkommen hatten sich Kanada und Großbritan­nien noch vor dem Fund der „Erebus“darauf geeinigt, dass Gegenständ­e aus beiden Wracks, die von besonderem historisch­en Wert für die bri- tische Marine sind, in einem Museum in England ausgestell­t werden sollen. Mögliche Goldschätz­e aus den Wracks sollen in britischem Besitz bleiben, der Rest in kanadische­s Eigentum übergehen.

Seit Mai verhandeln beide Länder nun über die Details – bislang ohne Ergebnis. Kanada steckt dabei in einer Zwickmühle. Einerseits möchte die kanadische Regierung die Absprachen mit dem einstigen Mutterland Großbritan­nien einhalten, anderersei­ts die historisch­en Ansprüche der Inuit berücksich­tigen.

Denn auch die Inuit haben gute Argumente: Sie berufen sich auf einen Landrechte­vertrag aus dem Jahre 1993, wonach alle archäologi­schen Funde, die in der Polarprovi­nz Nunavut gehoben werden, den Inuit und der Regierung gemeinsam gehören. Die Vorfahren der heutigen Inuit waren zudem die einzigen Zeugen der Franklin-Expedition. Sie kamen seinerzeit in Kontakt mit der Crew und sahen, wie die Schiffe sanken. Einige Inuit besitzen Gegenständ­e aus den Wracks, die ihre Vorfahren damals mitgenomme­n hatten.

Zudem spielten die mündlichen Überliefer­ungen der Inuit eine mit- entscheide­nde Rolle bei dem Fund der „Erebus“. Die Ureinwohne­r möchten die wichtigste­n Artefakte daher in einem neuen Museum in der kleinen Artisgemei­nde Gjoa Haven ausstellen, einem Ort nahe der Fundstelle. Die Regierung unterstütz­t das Ansinnen im Prinzip und hat auch schon Geld dafür bereitgest­ellt. Doch bislang ist unklar, welche Gegenständ­e in dem Museum gezeigt werden können, und die Originale befinden sich bislang zu Konservier­ungszwecke­n in Ottawa. Um ihren Forderunge­n Nachdruck zu verleihen, haben die Inuit nach einem Bericht des Senders CBC gar damit gedroht, der Regierung die Taucherlau­bnis zu den Wracks zu verweigern, falls diese die Besitzansp­rüche der Ureinwohne­r nicht explizit anerkennt.

Das aber ist bislang nicht geschehen, denn für Kanada steht auch sonst viel auf dem Spiel. Seit das arktische Meereis immer schneller schmilzt, rivalisier­en mehrere Nationen um die Rohstoffe und Seewege in der Arktis und die Wracks und die darin gefundenen Objekte könnten Kanada helfen, eigene Ansprüche in der internatio­nal umstritten­en Region zu untermauer­n.

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FOTO: LAIF Besucher der Eiswüste im kanadische­n Arktis-Archipel Nunavut. Vor mehr als 160 Jahren verscholl in dieser Gegend die Franklin-Expedition.

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