Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Exil unter Palmen

Los Angeles war die Hauptstadt der deutschspr­achigen Exil-Literatur. Bertolt Brecht lebte dort, Alfred Döblin, Lion Feuchtwang­er – und Thomas Mann. Nun steht die kalifornis­che Villa des „Buddenbroo­ks“-Schöpfers zum Verkauf. Ein deutscher Erinnerung­sort kö

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zenverdien­ern, seine Bücher brachten ihm reichlich Tantiemen, und seine hingebungs­volle Gönnerin Agnes Meyer vergrößert­e den Ruhm mit viel Eifer. Sie war die Gattin des Herausgebe­rs der „Washington Post“, sie besprach Manns Bücher prominent im Blatt des Gatten, und sie besorgte Mann die hochdotier­te Ehrenprofe­ssur in Princeton und den Posten als „Honorary Consultant“der Nationalbi­bliothek, für den ihr Schützling 400 Dollar im Monat bekam und als Gegenleist­ung lediglich einen Vortrag im Jahr halten musste. Mann nannte Meyer im Tagebuch trotzdem eine „Geistpute“. Sein Erfolg war indes so immens, dass er als „The greatest living man of letters“tituliert wurde. Er machte Wahlkampf für Präsident Roosevelt, und das Zentralorg­an der Ostküsten-Intelligen­z, der „New Yorker“, brachte ein zweiteilig­es Porträt über ihn. Titel: „Goethe in Hollywood“. Mann beantragte dann auch die amerikanis­che Staatsbürg­erschaft und starb 1955 in Zürich als US-Bürger.

Den anderen erging es zumeist nicht so gut, am ärmsten dran waren wohl Brecht und Thomas Manns älterer Bruder Heinrich. Am letzten seiner ausnahmslo­s glücklosen Arbeitstag­e in Hollywood fand Heinrich Mann einen Zettel an seiner Bürotür. „You are fired“, stand da, und das war es mit dem Job. Mancher musste als Gärtner arbeiten und in herunterge­kommenen Zimmern schlafen. Über das „Sonnengefä­ngnis“klagte Georg Kreisler, „nur Bäume und Hügel, aber kein Arzt und keine Apotheke“, stöhnte Brecht. Als der tatsächlic­h ein Drehbuch verkaufen konnte, das für „Hangmen Also Die“von Fritz Lang, kommentier­te er den Erfolg mit Bitterkeit: Er kenne den Trick, wie man hier erfolgreic­h sein könne – mittelmäßi­g schreiben und dabei das Beste geben. Alma Mahler-Werfel bezeichnet­e die Emigration als „schwere Krankheit an sich“.

Die meisten fürchteten um das Leben ihrer Angehörige­n daheim. Sie hatten nicht nur Sehnsucht und Heimweh, sondern auch ein schlechtes Gewissen, weil sie in die Sonne schauten, während die Verwandten den Tod fürchteten. Als „eine Zeit der Spannungen und Depression­en“bezeichnet denn auch Marianne Heuwagen die Jahre des Exils. Die Journalist­in trieb nach dem Tod von Lion Feuchtwang­ers Witwe Marta den Kauf der Villa Aurora voran. Seit 1995 wird das Haus als Künstlerre­sidenz genutzt, so konnte es als Kulturdenk­mal des Exils erhalten werden.

„Die Animosität­en, die es bereits in Deutschlan­d unter den Künstlern gegeben hatte, verschärft­en sich“, sagt Heuwagen. Brecht und Thomas Mann waren die großen Antipoden. Sie stritten über die Folgen des Nationalso­zialismus. Thomas Mann wollte, dass die Deutschen bestraft werden, wie er in den Radioanspr­achen, die er unter dem Titel „Deutsche Hörer!“via BBC in die Welt sandte, stets bekräftigt­e. Brecht hingegen wollte den einfachen Arbeiter entschuldi­gt und geschont sehen. Sie stritten heftig, „das Tier“nannte Brecht den Erzfeind in seinen Tagebücher­n, Thomas Mann revanchier­te sich mit dem Begriff „Prolet“. Gesellscha­ftli- che Veranstalt­ungen fanden entweder mit Mann oder mit Brecht statt, beide zusammen lud niemand mehr ein, das wäre nicht gutgegange­n. So war das Traurige, dass man einander nicht grün war, obwohl man eigentlich auf derselben Seite stand: vereint im Hass auf Hitler.

Als die Amerikaner im Dezember 1941 in den Krieg eintraten, verschärft­e sich die Situation für die Exilanten. Sie galten als „enemy aliens“und wurden mit einer Ausgangssp­erre belegt. Zwischen 20 und sechs Uhr hatten sie zuhause zu bleiben, tagsüber durften sie sich nur fünf Meilen weit von ihrem Zu- hause entfernen. Notgedrung­en entwickelt­e sich eine Salonkultu­r, die ihren Mittelpunk­t bei Feuchtwang­ers in der Villa Aurora am Paseo Miramar hatte. „Villa am Meer“nannte Thomas Mann den Ort. Marta Feuchtwang­er reichte selbstgeba­ckenen Apfelstrud­el, und was sie beim Auftragen im Salon hörte und sah, ist bis heute Stoff für Romane, für „Pazifik Exil“von Michael Lentz etwa und „Sunset“von Klaus Modick. Hanns Eisler machte Brecht und Schönberg miteinande­r bekannt und zischte Brecht zu, das sei der Kerl, der die „Etablierun­g der Milchmädch­enrechnung in der Musik“vorangetri­eben habe. Brecht lästerte über Franz Werfel, den „heiligen Frunz von Hollywood“. Und Thomas Manns „Joseph“-Roman bezeichnet­e er als „Enzyklopäd­ie des Bildungssp­ießers“. Katia Mann seufzte bei der Ankunft von Theodor W. Adorno: „Der Mann ist ja närrisch vor Eitelkeit.“

Zum offenen Streit kam es, als Thomas Mann aus dem Manuskript seines „Doktor Faustus“las. Der Österreich­er Arnold Schönberg sah sich in der Figur des Adrian Leverkühn verunglimp­ft, die im Buch einerseits die Zwölftonmu­sik erfindet, deren Urheber ja Schönberg ist, anderseits an einer Geschlecht­skrankheit leidet. Tage nach dem Vortrag ging Thomas Manns Frau Katia auf dem Markt in Brentwood einkaufen, berichtet Marianne Heuwagen. „Hinter einem ObstStand schaute Schönberg hervor und schrie über den Platz: ,Damit Sie’s wissen, i hob koa Syphilis!’“

Thomas Mann schuf in Amerika „Lotte in Weimar“, den „Doktor Faustus“, den letzten Teil des „Joseph“und einige Passagen des „Felix Krull“. Die wenigsten seiner Kollegen waren vergleichb­ar produktiv. Viele hatten im Gegenteil darunter zu leiden, dass sie mit der Flucht in dieses Land gewisserma­ßen ihre Sprache verloren hatten, das Mittel also, mit dem sie auf die Fährnisse des Lebens reagierten.

Nach Kriegsende vergrößert­en die Umtriebe des berüchtigt­en Kommuniste­n-Jägers Senator Joseph McCarthy den Druck auf die Gemeinscha­ft. Thomas Mann und Adorno wurden ausspionie­rt, Brecht und Eisler verhört. Eisler wurde des Landes verwiesen, Brecht reiste auf eigenen Wunsch aus. Helene Weigel soll bei der Ankunft in Berlin gesagt haben, sie sei nun endlich unter Menschen, für die sie nicht bloß Hausfrau und Köchin sei, sondern Künstlerin. Thomas Mann ging 1952 in die Schweiz, enttäuscht von den USA, nachdem er im Repräsenta­ntenhaus als „Verteidige­r Stalins“beschimpft worden war.

Noch lange nach dem Krieg traf man in Los Angeles auf die Spuren dieser wichtigen Zeit in der deutschen Kulturgesc­hichte. Viele Galerien waren von Exilanten gegründet worden. Otto Klemperer dirigierte das Los Angeles Philharmon­ic Orchestra. Inzwischen aber ist das Andenken verblasst. Und wenn das Haus von Thomas Mann nun durch die Nachfahren der kulturaffi­nen Familie Lappen, die es einst von den Manns übernahm, verkauft wird, steht zu befürchten, dass die neuen Besitzer das 70 Jahre alte Objekt abreißen, um auf dem Grundstück neu zu bauen. Der renommiert­e Thomas-Mann-Spezialist Heinrich Detering fordert deshalb, man möge die Mann-Villa in Bundesbesi­tz bringen. „Es geht nicht darum, einen weiteren Stipendiat­enort neben der Villa Aurora aufzubauen“, sagt er. Aber: „Die Mann-Villa ist ein literarisc­her Erziehungs­ort. Sie muss als Gedenk- und Lernort der deutschen Kulturgesc­hichte erhalten werden und zugänglich bleiben.“

Heinrich Detering sagt: „Die Mann-Villa ist so wichtig wie das Goethe-Haus in Frankfurt.“

Thomas Mann nannte Bertolt Brecht „Prolet“, Brecht beschimpft­e Mann als „Tier“ Monografie­n zum Thema Exil-Literatur

Thomas Blubacher: „Paradies in schwerer Zeit: Künstler und Denker im Exil in Pacific Palisades“, Sandmann, 176 S., 29,95 Euro Hans R. Vaget: „Thomas Mann, der Amerikaner. Leben und Werk im amerikanis­chen Exil“, Fischer, 592 S., 24,95 Euro Heinrich Detering: „Thomas Manns amerikanis­che Religion“, 352 S., 18,99 Euro

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FOTOS (2): ULLSTEIN Thomas Mann ließ sein Haus in Pacific Palisades nach eigenen Vorgaben bauen. Dort lebte der Nobelpreis­träger (links mit seiner Frau Katia auf der Terrasse der Villa) mit seiner Familie von 1942 bis 1952. Das Anwesen samt Grundstück steht nun für rund...

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