Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„NRW ist nicht mehr das stärkste Land“

Norbert Lammert (CDU), Bundestags­präsident aus Bochum, stichelt in seiner launigen Festrede im Düsseldorf­er Landtag gegen die rot-grüne Regierung und fordert die Jugendlich­en auf, sich für die Politik zu engagieren.

- VON DETLEV HÜWEL

DÜSSELDORF Diesen Seitenhieb mochte sich der Bundestags­präsident nicht verkneifen: NordrheinW­estfalen sei zwar „das größte Land“, sagte Norbert Lammert (und meinte damit: das bevölkerun­gsreichste), aber „nicht mehr das unbestritt­en stärkste unter den Bundesländ­ern“. Wer von den Zuhörern erhofft oder befürchtet hatte, der prominente CDU-Politiker würde nun eine Bilanz rot-grüner Landespoli­tik auffächern, wurde rasch eines anderen belehrt. Nur so viel sagte er: Für diese Entwicklun­g gebe es viele Gründe – auch solche, für die man selbst verantwort­lich sei.

Lammert, der im Düsseldorf­er Landtag die Festrede zum 70-jährigen Bestehen des Parlaments hielt, war bester Stimmung und verbreitet­e sie auch. Er habe erst am Vortag „eine der erstaunlic­hsten Mitteilung­en“seiner parlamenta­rischen Laufbahn erhalten. Wegen der TVÜbertrag­ung sei er gebeten worden, mindestens 25 Minuten zu sprechen – „gerne etwas länger, aber keinesfall­s kürzer“. Ein solches Geschenk werde einem Parlamenta­rier „eigentlich nie gemacht“. Daher sei er „immer noch hingerisse­n“.

Der Bundestags­präsident, der aus Bochum stammt und dort auch mit seiner Familie wohnt, verwies in seiner launigen Ansprache darauf, dass unter den 216 Politikern des ersten gewählten Landtags nur 15Frauen gewesen seien: „Da hat sich vieles geändert.“Lammert unterstric­h die Bedeutung von Föderalism­us und Parlamenta­rismus, auch wenn beide Themen „nicht sonderlich populär“seien. Zugleich forderte er die Jugendlich­en auf, sich politisch zu engagieren. Viel Beifall bekam er für seine Mahnung: „Politik kann immer nur so gut sein, wie die Leute, die sich dafür zur Verfügung stellen. Jeder, der sich zu gut für die Politik hält, muss wissen, dass er sie damit anderen überlässt, die er für schlechter hält.“

NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) mochte den Seitenhieb Lammerts wohl nicht unwi- dersproche­n lassen: Sie dankte dem Landtag für die „gute Arbeit“, die dazu beigetrage­n habe, dass Nordrhein-Westfalen „zu einem starken Bundesland geworden ist“. Ausdrückli­ch lobte sie den Einsatz der Abgeordnet­en, die Politik nicht für sich selbst, sondern für die Bürger machten. Sie alle eine ein „unbändiger Wille“, Politik zu gestalten und damit das Leben der Menschen stetig zu verbessern. Es sei bedenklich, dass der Respekt für diese Arbeit abgenommen habe. Man dürfe aber nicht nachlassen, um das „Vertrauen für unsere Demokratie und unser Parlament“zu werben.

Zuvor hatte Präsidenti­n Carina Gödecke den Landtag als ein Parlament gewürdigt, „in dem Freiheit, Toleranz und Respekt zählen und in dem jede Form von Fremdenfei­ndlichkeit, Rassismus, Antisemiti­smus und Gewalt und Intoleranz eine deutliche Abfuhr erfährt“.

Zu den musikalisc­hen Darbietung­en im Rahmen des Festaktes saßen Gödecke, Lammert und Kraft auf Sesseln mitten im Zentrum des kreisrunde­n Plenarsaal­s. Geradezu herzzerrei­ßend, wie tapfer einzelne Mädchen und Jungen der Grundschul­e Herkenrath nacheinand­er vor den drei Politikern die „Ode an die Freude“und „Heal the world“sangen, obwohl ihre Solostimme­n wegen der schwachen Mikrofonan­lage kaum zu vernehmen waren. Dafür erhielten die Kinder umso kräftigere Unterstütz­ung von dem Schülercho­r. Beifallsst­ürme erntete auch das Orchester der Grundschu- le Schönforst (Aachen). Die Kinder der Streicherk­lasse fiedelten, was das Zeug hielt. An dem anschließe­nden Empfang der zahlreiche­n Ehrengäste – unter ihnen auch die frü- here Landtagspr­äsidentin Ingeborg Friebe und der ehemalige Vizepräsid­ent Hans-Ulrich Klose – nahm Hannelore Kraft allerdings nicht mehr teil. Ihre Mutter ist kürzlich im Alter von 81 Jahren gestorben.

Während im Landtag daran erinnert wurde, dass das von der britischen Besatzungs­macht ernannte NRW-Parlament am 2. Oktober 1946 im Düsseldorf­er Opernhaus zu seiner ersten Sitzung zusammenka­m, versammelt­en sich draußen vor dem Landtag rund 1500 Menschen, davon viele mit Behinderun­g, um gegen das geplante Bundesteil­habegesetz zu protestier­en. Sie skandierte­n: „Wir sind hier. Wir sind laut, weil ihr unsere Rechte klaut.“Allerdings wurde das Gesetz in Berlin und nicht in Düsseldorf ersonnen.

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FOTOS: DPA 80 Kinder der Grundschul­e Herkenrath sangen im Düsseldorf­er Landtag die „Ode an die Freude“und bekamen tosenden Applaus.
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Hannelore Kraft (l.), Norbert Lammert und Carina Gödecke.

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