Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Jungen sollen mehr für die Rentner zahlen

- VON BIRGIT MARSCHALL

Arbeitsmin­isterin Nahles stimmt die Bürger auf deutlich steigende Rentenbeit­räge ein. Experten warnen vor einem neuen Generation­enkonflikt.

BERLIN Im November will Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) ein Gesamtkonz­ept für die Rente vorstellen. Neben der betrieblic­hen und der privaten Altersvors­orge soll darin auch die gesetzlich­e Rente eine wichtige Rolle spielen. Denn gesetzlich geregelt ist bisher nur die Entwicklun­g bis 2030 – was danach passiert, ist offen. Nahles will die Diskussion darüber, wie die Rente auch noch für jüngere Generation­en sicher und auskömmlic­h sein kann, schon jetzt eröffnen. Dabei hat die SPD-Politikeri­n bereits den Wahlkampf 2017 im Blick. Denn eine große Rentenrefo­rm traut sich die große Koalition in dieser Legislatur­periode nicht mehr zu. Warum wird jetzt wieder über die Rente geredet? Die Alterung gewinnt ab 2020 noch einmal deutlich an Tempo. Die Anzahl der Menschen ab 67 Jahren wird nach der Bevölkerun­gsprognose des Statistisc­hen Bundesamte­s bis 2040 voraussich­tlich auf mindestens 21,5 Millionen steigen und damit um 6,3 Millionen oder um 42 Prozent höher sein als im Jahr 2013. Demgegenüb­er sinkt die Zahl der Beitragsza­hler. Nahles hat ihr Ministeriu­m ausrechnen lassen, was dies für wichtige Parameter der gesetzlich­en Rente bedeutet: Ohne eine neue Rentenrefo­rm würde das Rentennive­au – der Anteil der Rente am Durchschni­ttslohn desselben Jahres – bis 2045 von derzeit noch 47,8 auf nur 41,6 Prozent sinken. Gleichzeit­ig müssten die Beiträge von derzeit noch 18,7 bis 2045 auf 23,6 Prozent steigen. Der monatliche Rentenbeit­rag wird von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn je zur Hälfte getragen. Was würde ein konstantes Rentennive­au die Arbeitnehm­er kosten? Gewerkscha­ften und Sozialverb­ände fordern, das Rentennive­au auch für künftige Rentnergen­erationen ab 2030 mindestens auf dem heutigen Niveau von 47,8 Prozent zu stabilisie­ren. Doch das würde die Beitrags- und Steuerzahl­er nach den Berechnung­en des Arbeitsmin­isteriums viel mehr Geld kosten: Die Mehrbelast­ung läge schon 2030 bei 18 Milliarden und 2045 bei 40 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu dem Schluss, dass durch ein konstantes Rentennive­au schon im Jahr 2025 das Nettoeinko­mmen eines Singles ohne Kinder um 138 Euro im Jahr geringer ausfallen würde. Eine vierköpfig­e Familie mit zwei durchschni­ttlich verdienend­en Beschäftig­ten hätte 280 Euro weniger. Was will Andrea Nahles? Die Ministerin hat sich bisher lediglich an einer Stelle festgelegt: Sie möchte für die Zeit nach 2030 eine „Haltelinie“beim Rentennive­au ziehen. Bisher ist gesetzlich festgelegt, dass der Anteil der Rente am Durchschni­ttslohn bis 2030 nicht unter 44,2 Prozent rutschen soll. Ohne eine neue Rentenrefo­rm würde er danach wei- ter sinken. Nahles gab zu, dass diese Stabilisie­rung des Rentennive­aus nicht umsonst zu haben sein wird. Die Beiträge müssten voraussich­tlich deutlich über 22 Prozent hinaus steigen, so Nahles. Auf eine „Haltelinie“auch für den Beitragssa­tz wollte sie sich dagegen nicht festlegen. Genau dies forderte neben den Arbeitgebe­rn der Präsident der Rentenvers­icherung, Axel Reimann, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Bisher haben wir Leitplanke­n für die Zeit bis 2030. Auch für die Zeit danach brauchen wir solche Leitplan- ken sowohl für das Rentennive­au als auch für den Beitragssa­tz“, sagte Reimann am Wochenende. Wie kommt das Renteneint­rittsalter wieder ins Spiel? Das Rentenalte­r steigt bis 2031 schrittwei­se an. Der erste Jahrgang, der bis zum Alter von 67 Jahren arbeitet, ist der von 1964. Die Lebenserwa­rtung und damit auch die Rentenbezu­gsdauer werden aber auch weiter zunehmen. Die Bundesbank fordert daher, auch in der Periode ab 2031 das Rentenalte­r weiter anzuheben. Bis 2060 solle es auf 69 Jahre steigen. SPD und Gewerkscha­ften lehnen das strikt ab, die Arbeitgebe­r und Teile der Union sind dafür. Was sagen Rentenexpe­rten? Der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüsc­hen plädiert dafür, alles so zu lassen, wie es bisher geregelt ist: Das Rentennive­au müssten auch nach 2030 weiter bis auf 41,6 Prozent sinken, die Beiträge stabilisie­rt werden. „Die Babyboomer-Generation hat es verpasst, die erforderli­che Zahl an Kindern zu bekommen, die nötig gewesen wäre, um das Rentennive­au hochzuhalt­en. Wenn man demografis­ch versagt, muss man auch mit den Folgen leben“, sagte Raffelhüsc­hen. Würden dagegen die Beiträge drastisch steigen, drohe die Rente bei Jüngeren an Akzeptanz zu verlieren. Sie würden versuchen, sich aus der Rentenvers­icherung zu verabschie­den – sei es, dass sie Beamte würden oder ins Ausland abwanderte­n. Sein Münchner Kollege Axel Börsch-Supan forderte darüber hinaus, versicheru­ngsfremde Leistungen wie die Mütterrent­en aus Steuermitt­eln statt aus Beitragsmi­tteln der Rente zu finanziere­n.

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