Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„China macht Tischtennis langweilig“
Der deutsche Bundestrainer spricht über die Dominanz der Asiaten, Nachwuchsprobleme und die WM in Düsseldorf 2017.
SAARBRÜCKEN Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im vergangenen Sommer gewann das deutsche Herren-Tischtennis-Team Bronze. Solche Erfolge könnten in Zukunft ausbleiben, da der Nachwuchs fehlt. Bundestrainer Jörg Roßkopf erklärt die Gründe und welche Rolle die Einzel-WM in Düsseldorf 2017 spielen soll.
Herr Roßkopf, wie bewerten Sie den aktuellen Stand im deutschen Tischtennis?
ROSSKOPF Wir sind weiter im Kampf mit Japan um die Nummer zwei der Welt. Die Japaner werden noch mehr investieren im Zuge der Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Unser Team mit Timo Boll (35), Bastian Steger (35) und Dimitri Ovtcharov (28) ist ein bisschen älter geworden. Wir müssen sehen, dass junge Spieler nachrücken. Für uns wird es 2020 sehr schwer, und 2024 unglaublich schwer, eine Medaille zu holen.
Probleme mit dem Nachwuchs beklagen alle Sportarten außer dem Fußball. Ist es nicht zu einfach als Ausrede, nur mit dem Finger auf den Volkssport Nummer eins zu zeigen?
ROSSKOPF Wir sind froh, dass wir den Fußball als Sportart Nummer eins in Deutschland haben. Aber natürlich nimmt er Talente weg.
Wo liegen weitere Ursachen?
ROSSKOPF Unsere Regierung hat schon den Auftrag, den Sport generell mehr zu pushen. Der Schulsport und die koordinative Ausbildung sind nicht mehr so, wie sie vor 20 Jahren gewesen sind. Wir haben ein Problem mit Ganztagsschulen und damit, dass Kinder weniger Sport treiben. Und wenn sich ein Kind bewegt, kommen alle Sportarten und wollen das Kind haben.
Was kann der Tischtennis-Bund tun?
ROSSKOPF Unsere Aufgabe ist es, Talente zu sichten. Wir fangen bei den Zehn-, Elf-, Zwölfjährigen an. Wir haben sehr viele erfahrene Trainer. Für uns stellt sich aber vor allem das Problem, die Talente, die wir haben, auf ein hohes Niveau zu bringen. Das ist in Asien komplett anders.
Was muss sich ändern?
ROSSKOPF Wir sind in Deutschland sehr weit davon entfernt, dass sich Kinder dem Hochleistungssport verschreiben: zweimal am Tag trainieren und alles dem Erfolg im Sport unterordnen.
Sie haben Asien angesprochen. Es gibt wohl keine Nation, die eine Sportart so dominiert wie die Chinesen das Tischtennis. Klingt nach Langeweile für den Zuschauer.
ROSSKOPF Das ist das Kernproblem unserer Sportart. Die Chinesen gewinnen zu viel. Du spielst und weißt, am Ende gewinnt ein Chinese. Es gibt nichts Langweiligeres für eine Sportart als solch eine dominante Nation. 1989 war Tischtennis so populär, weil die Schweden und wir WM-Titel gewonnen haben. Die Chinesen haben sechs Jahre lang keinen Titel gewonnen. Das war ein richtiges Miteinander um die Titel. Aber ich kann es den Chinesen heute nicht verübeln. Sie trainieren hart und haben die Titel verdient. Wir in Europa machen einfach zu wenig.
Das ist also ein Strukturproblem?
ROSSKOPF Wir müssen schon vor der eigenen Tür kehren. Wir haben weniger Mitglieder, weniger Zuschauer bei Bundesligaspielen. Wir haben in Deutschland gute Stützpunkte und gute Trainer. Aber jeder Stützpunkt macht seine Geschichte unter seinen Rahmenbedingungen, die in jedem Landesverband unterschiedlich sind. Wir müssen zusehen, dass wir unsere Top-Talente zu den TopTrainern und zu den Top-Bedingungen bringen. Und: Die Top-Spieler müssen zusammen spielen. Ich bin so gut geworden, weil ich mit den besten Schülern und Jugendlichen trainiert habe. Und ich hatte, seit ich 16 Jahre alt war, in Düsseldorf die besten Trainer.
Ist der Mitgliederschwund auf das Popularitätsproblem des Tischtennis zurückzuführen?
ROSSKOPF Wichtig ist, die Popularität in Deutschland zu entfachen. Aber wo bekommen Leute in den Medien noch Helden aus anderen Sportarten zu sehen? Es wird im TV doch lieber die vierte Liga im Fußball gezeigt. Alle anderen Sportarten bekommen mal fünf Minuten.
Ist das vor allem Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen?
ROSSKOPF Meiner Meinung nach werden sie ihrem Auftrag nicht völlig gerecht. Wir hatten 2012 eine WM in Deutschland. Man hat die WM einer tollen Sportart im eigenen Land vor 10.000 Zuschauern in der Westfalenhalle, und die Nation hat das Ziel, Weltmeister zu werden. Live wird aber nur das Finale im WDR übertragen. Wo sollen die jungen Leute denn herkommen, wenn die Faszination und die Helden unserer Sportart nicht ausreichend gezeigt werden?
Welche Rolle spielt dabei die EinzelWM in Düsseldorf 2017?
ROSSKOPF Bei einer Einzel-WM ist es schwieriger, weil es unheimlich viele gute Einzelspieler gibt. Es kann sein, dass alle Deutschen im Achtelfinale, vielleicht auch früher ausscheiden. Es wird wichtig, dass die Spieler sich gut präsentieren und das Fernsehen uns überträgt. In und um Düsseldorf wird alles glatt laufen: der Standort, die Hallen, die Zuschauer. Alles ist perfekt. Wichtig ist aber, dass es im TV nach außen getragen wird.
Timo Boll schätzt die Arbeit der Chinesen. Was er nicht schätzt, ist, dass chinesische Spieler die Beläge ihrer Schläger mit Chemikalien aufmotzen. Boll fordert klarere Richtlinien. Was sagen Sie zu dieser Diskussion?
ROSSKOPF Auch dass sie den besten Belag gefunden haben, haben sich die Chinesen verdient. Das Hauptproblem ist aber ein anderes: Die Chinesen trainieren mit fünf Jahren schon fünf- bis zehnmal die Woche. Sie trainieren fünf Jahre lang Schläge, bevor ein deutscher Junge überhaupt mal den Schläger in die Hand nimmt. Da hat der Chinese bereits einige Millionen Mal den Vorhandschlag geübt. Die Belagdiskussion gilt nur für die Bolls und Ovtcharovs. Auf dem Top-Niveau macht das eventuell den Unterschied aus. Die entscheidende Lücke liegt aber im Alter von fünf bis 15 Jahren. Wenn ein Spieler mit 18 Jahren zu mir in den Kader kommt, hat er noch technische Probleme. Das gibt es in China nicht. Ein Chinese kann mit 18 Jahren Weltmeister werden. Das kann keiner von unseren Jungs.