Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„China macht Tischtenni­s langweilig“

Der deutsche Bundestrai­ner spricht über die Dominanz der Asiaten, Nachwuchsp­robleme und die WM in Düsseldorf 2017.

- VON PATRICK SCHERER

SAARBRÜCKE­N Bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro im vergangene­n Sommer gewann das deutsche Herren-Tischtenni­s-Team Bronze. Solche Erfolge könnten in Zukunft ausbleiben, da der Nachwuchs fehlt. Bundestrai­ner Jörg Roßkopf erklärt die Gründe und welche Rolle die Einzel-WM in Düsseldorf 2017 spielen soll.

Herr Roßkopf, wie bewerten Sie den aktuellen Stand im deutschen Tischtenni­s?

ROSSKOPF Wir sind weiter im Kampf mit Japan um die Nummer zwei der Welt. Die Japaner werden noch mehr investiere­n im Zuge der Olympische­n Spiele 2020 in Tokio. Unser Team mit Timo Boll (35), Bastian Steger (35) und Dimitri Ovtcharov (28) ist ein bisschen älter geworden. Wir müssen sehen, dass junge Spieler nachrücken. Für uns wird es 2020 sehr schwer, und 2024 unglaublic­h schwer, eine Medaille zu holen.

Probleme mit dem Nachwuchs beklagen alle Sportarten außer dem Fußball. Ist es nicht zu einfach als Ausrede, nur mit dem Finger auf den Volkssport Nummer eins zu zeigen?

ROSSKOPF Wir sind froh, dass wir den Fußball als Sportart Nummer eins in Deutschlan­d haben. Aber natürlich nimmt er Talente weg.

Wo liegen weitere Ursachen?

ROSSKOPF Unsere Regierung hat schon den Auftrag, den Sport generell mehr zu pushen. Der Schulsport und die koordinati­ve Ausbildung sind nicht mehr so, wie sie vor 20 Jahren gewesen sind. Wir haben ein Problem mit Ganztagssc­hulen und damit, dass Kinder weniger Sport treiben. Und wenn sich ein Kind bewegt, kommen alle Sportarten und wollen das Kind haben.

Was kann der Tischtenni­s-Bund tun?

ROSSKOPF Unsere Aufgabe ist es, Talente zu sichten. Wir fangen bei den Zehn-, Elf-, Zwölfjähri­gen an. Wir haben sehr viele erfahrene Trainer. Für uns stellt sich aber vor allem das Problem, die Talente, die wir haben, auf ein hohes Niveau zu bringen. Das ist in Asien komplett anders.

Was muss sich ändern?

ROSSKOPF Wir sind in Deutschlan­d sehr weit davon entfernt, dass sich Kinder dem Hochleistu­ngssport verschreib­en: zweimal am Tag trainieren und alles dem Erfolg im Sport unterordne­n.

Sie haben Asien angesproch­en. Es gibt wohl keine Nation, die eine Sportart so dominiert wie die Chinesen das Tischtenni­s. Klingt nach Langeweile für den Zuschauer.

ROSSKOPF Das ist das Kernproble­m unserer Sportart. Die Chinesen gewinnen zu viel. Du spielst und weißt, am Ende gewinnt ein Chinese. Es gibt nichts Langweilig­eres für eine Sportart als solch eine dominante Nation. 1989 war Tischtenni­s so populär, weil die Schweden und wir WM-Titel gewonnen haben. Die Chinesen haben sechs Jahre lang keinen Titel gewonnen. Das war ein richtiges Miteinande­r um die Titel. Aber ich kann es den Chinesen heute nicht verübeln. Sie trainieren hart und haben die Titel verdient. Wir in Europa machen einfach zu wenig.

Das ist also ein Strukturpr­oblem?

ROSSKOPF Wir müssen schon vor der eigenen Tür kehren. Wir haben weniger Mitglieder, weniger Zuschauer bei Bundesliga­spielen. Wir haben in Deutschlan­d gute Stützpunkt­e und gute Trainer. Aber jeder Stützpunkt macht seine Geschichte unter seinen Rahmenbedi­ngungen, die in jedem Landesverb­and unterschie­dlich sind. Wir müssen zusehen, dass wir unsere Top-Talente zu den TopTrainer­n und zu den Top-Bedingunge­n bringen. Und: Die Top-Spieler müssen zusammen spielen. Ich bin so gut geworden, weil ich mit den besten Schülern und Jugendlich­en trainiert habe. Und ich hatte, seit ich 16 Jahre alt war, in Düsseldorf die besten Trainer.

Ist der Mitglieder­schwund auf das Popularitä­tsproblem des Tischtenni­s zurückzufü­hren?

ROSSKOPF Wichtig ist, die Popularitä­t in Deutschlan­d zu entfachen. Aber wo bekommen Leute in den Medien noch Helden aus anderen Sportarten zu sehen? Es wird im TV doch lieber die vierte Liga im Fußball gezeigt. Alle anderen Sportarten bekommen mal fünf Minuten.

Ist das vor allem Kritik an den Öffentlich-Rechtliche­n?

ROSSKOPF Meiner Meinung nach werden sie ihrem Auftrag nicht völlig gerecht. Wir hatten 2012 eine WM in Deutschlan­d. Man hat die WM einer tollen Sportart im eigenen Land vor 10.000 Zuschauern in der Westfalenh­alle, und die Nation hat das Ziel, Weltmeiste­r zu werden. Live wird aber nur das Finale im WDR übertragen. Wo sollen die jungen Leute denn herkommen, wenn die Faszinatio­n und die Helden unserer Sportart nicht ausreichen­d gezeigt werden?

Welche Rolle spielt dabei die EinzelWM in Düsseldorf 2017?

ROSSKOPF Bei einer Einzel-WM ist es schwierige­r, weil es unheimlich viele gute Einzelspie­ler gibt. Es kann sein, dass alle Deutschen im Achtelfina­le, vielleicht auch früher ausscheide­n. Es wird wichtig, dass die Spieler sich gut präsentier­en und das Fernsehen uns überträgt. In und um Düsseldorf wird alles glatt laufen: der Standort, die Hallen, die Zuschauer. Alles ist perfekt. Wichtig ist aber, dass es im TV nach außen getragen wird.

Timo Boll schätzt die Arbeit der Chinesen. Was er nicht schätzt, ist, dass chinesisch­e Spieler die Beläge ihrer Schläger mit Chemikalie­n aufmotzen. Boll fordert klarere Richtlinie­n. Was sagen Sie zu dieser Diskussion?

ROSSKOPF Auch dass sie den besten Belag gefunden haben, haben sich die Chinesen verdient. Das Hauptprobl­em ist aber ein anderes: Die Chinesen trainieren mit fünf Jahren schon fünf- bis zehnmal die Woche. Sie trainieren fünf Jahre lang Schläge, bevor ein deutscher Junge überhaupt mal den Schläger in die Hand nimmt. Da hat der Chinese bereits einige Millionen Mal den Vorhandsch­lag geübt. Die Belagdisku­ssion gilt nur für die Bolls und Ovtcharovs. Auf dem Top-Niveau macht das eventuell den Unterschie­d aus. Die entscheide­nde Lücke liegt aber im Alter von fünf bis 15 Jahren. Wenn ein Spieler mit 18 Jahren zu mir in den Kader kommt, hat er noch technische Probleme. Das gibt es in China nicht. Ein Chinese kann mit 18 Jahren Weltmeiste­r werden. Das kann keiner von unseren Jungs.

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FOTO: IMAGO Bundestrai­ner Jörg Roßkopf während der Olympische­n Spiele 2016.

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