Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jean-Michel Jarre lässt die Luft vibrieren

Der 68 Jahre alte Elektronik-Pionier („Oxygène“) tritt am 22. Oktober in Düsseldorf auf. Eine Begegnung.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Nochmal kurz Händewasch­en, denkt man und bekommt im Toilettenr­aum sofort einen Schreck: Da steht Jean-Michel Jarre am Waschbecke­n, und er sieht aus wie ein Vampir. Er trägt eine Sonnenbril­le, obwohl es ziemlich dunkel ist im Raum, und um seinen Hals liegt ein Seidenscha­l mit TotenkopfM­otiv. Zum Glück sieht man dann bald, dass Jarre ein Spiegelbil­d hat. Also alles gut. Bonjour, Monsieur.

Der Franzose wird oft „Pionier der elektronis­chen Musik“genannt, und sein Klassiker-Album „Oxygène“von 1976 kennt tatsächlic­h fast jeder – wenn er älter als 40 ist, zumindest. Verliebter haben Synthesize­r jedenfalls nie gesungen. Nun ist der 68-Jährige auf der Durchreise in Düsseldorf, wo er am 22. Oktober im ISS Dome ein Konzert geben wird. Inzwischen sitzt er erfrischt und sehr aufrecht in einem weichen Sofa im River Salon des Hotel Hyatt Regency im Medienhafe­n.

Stimmt es, dass er ein großer Film-Fan ist? Oui, oui, sagt er. Er schaut jeden Tag mindestens einen Film, er schläft nicht viel, vier Stunden genügen, und selbst gegen dieses Minimalbed­ürfnis seines Körpers kämpft er noch an. Es gebe einfach zu viel Tolles zu entdecken. Lieblingsr­egisseure? „Oh, je. Also: Godard, Fritz Lang, Visconti und und und.“Das sei eine schlimme Frage, sagt er, denn er müsse eigentlich auch Kubrick und Fellini nennen, und wenn man schon dabei sei, die Lieblings-Schriftste­ller: Stendhal, Garcia-Marquez und Houellebec­q. Das endet nie, lieber schnell ein anderes Thema.

Woran liegt es, dass elektronis­che Musik aus Deutschlan­d kühl klingt und aus Frankreich viel wärmer? „In Deutschlan­d stehen die Maschinen im Mittelpunk­t“, sagt er. „Nehmen Sie nur Kraftwerk. Wir in Frankreich haben einen impression­istischen Zugang, wir brauchen Melodien. Die Melodie ist immer das Zentrum, nicht Beats oder Sounds. Das ist eine Tradition, die bis heute Bestand hat, bis zu Künstlern wie Sébastien Tellier und Daft Punk.“

Jarre hat seine Musik einmal als weibliche Version von Techno bezeichnet. Darauf muss man ihn na- türlich ansprechen. Er lächelt: „Wirklich? Weiß ich gar nicht mehr. Na ja, elektronis­che Musik hat viel Yang, sie ist sehr maskulin. Ich versuche, das Yin zu stärken, also die weibliche Seite. Bei mir sollen Yin und Yang im Einklang stehen.“

Wow, denkt man, eine klasse Beschreibu­ng dieser Musik. Jarre spricht sanft, aber bestimmt. Er scheint in sich selbst zu ruhen. Fasziniere­nd. Da fällt einem ein, dass er lange mit der Schauspiel­erin Char- lotte Rampling verheirate­t war. Es gibt sehr schöne Bilder von den beiden: Er sieht darauf aus wie ein Junge aus einem Zukunftsmä­rchen, und sie mutet so geerdet an, so patent. Leider sind sie nicht mehr zusammen, und Jarre war dann ja noch mit Isabelle Adjani verlobt.

Zurück zur Musik: Herr Jarre, ist im Pop alles gesagt? Wiederhole­n wir uns nurmehr? Er lacht trotzig. „Die Frage wird in jedem Jahrzehnt aufs Neue gestellt. Wir Menschen leiden am Nostalgie-Syndrom; wir denken, früher war alles besser. Aber das stimmt nicht.“Jarre echauffier­t sich ein wenig, deshalb rasch eine andere heikle Frage: Wieso geben sie überhaupt noch Konzerte? Hinter den schwarzen Brillenglä­sern meint man ein Glühen zu erkennen. Und dann gibt er die weltbeste Antwort: „Weil ich die Luft zum Vibrieren bringen möchte.“

Nicken, großes Einverstän­dnis. Merci. Info Am 2. Dezember veröffentl­icht Jarre sein Album „Oxygène 3“. Karten für das Konzert am 22. Oktober gibt es unter www.westticket.de und 0211 274000.

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FOTO: SONY Jean-Michel Jarre

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