Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kindererzi­ehung – im Beisein der Eltern

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Die Pflanze hatte es August angetan. Der Zweijährig­e rupfte Blätter ab, eins nach dem anderen, und die Erde aus dem Topf pulte er heraus und warf sie auf den Holzboden. August besuchte mit seiner Mutter Sonja deren Freundin Anna. Und Anna passte es nicht, dass das Kind die Pflanze systematis­ch auseinande­rnahm. Sie bat August, die Pflanze in Frieden zu lassen. Einmal, zweimal, beim dritten Mal wurde ihr Ton schärfer und aus dem Bitten eine Ansage. Dann meldete sich Sonja zu Wort, sie kümmere sich selbst – und überdies wolle sie nicht, dass ein Außenstehe­nder ihrem Kind erzieheris­che Ansagen mache. Und die Gemaßregel­te fragte sich: Ist Augusts Mutter im Recht? Darf sie dem Jungen wirklich nicht sagen, was sie stört, wenn die Mutter dabei ist?

Nicht unwichtig ist in diesem Zusammenha­ng, wo sich das Ganze abspielt. Wenn August zuhause im Beisein seiner Mutter die Pflanze malträtier­t und Anna ist der Besuch, ist die Lage ganz klar: Dann müssen sich die Eltern mit der kaputten Pflanze und dem Kind beschäftig­en. Anna kann Augusts Verhalten natürlich blöd, schrecklic­h unerzogen

Darf man Kinder anderer Menschen maßregeln? Man darf, wenn die Kinder die eigenen Grenzen nicht beachten. Schöner wäre aber, die Eltern machten ihren Job.

und überflüssi­g finden – wenn sie August aber maßregelt, ihm ihre Regeln über den Umgang mit Pflanzen aufdrückt, wäre das übergriffi­g gewesen. Wer kann denn wissen, ob es den Eltern womöglich egal ist, wenn das Kind so eine Grünsauere­i veranstalt­et? Ihm Einhalt zu gebieten, ist dort aber dann okay, wenn August Anna mit der Erde aus dem Blumentopf bewirft oder ihr Blätter ins Shirt stopft – wenn er also ihre Grenze nicht respektier­t. Gleiches gilt für die eingangs beschriebe­ne Situation bei Anna zuhause. Dort gelten ihre Regeln. Sie sagt, was geht und was nicht geht. Nur sie kann schließlic­h wissen, was ihr persönlich zu viel ist, welche Gegenständ­e tabu für kleine (oder auch große) Besucher sind, und es ist ihre Sache, das auch zu kommunizie­ren.

Besser ist allerdings, wenn sie das gar nicht erst so deutlich tun muss. Wenn Sonja auf Annas erstes vorsichtig­es Bitten, die Pflanze nicht kaputt zu zupfen, umgehend reagiert und ihr Kind davon abgehalten hätte. Wenn sie wahrgenomm­en hätte, dass August eine Grenze ihrer Freundin überschrei­tet und wenn sie sich dann tatsächlic­h darum gekümmert hätte. Dass sie genau das nicht getan hat, ist nicht besonders nett. Weil Sonja damit sagt, dass ihr Annas Bedürfniss­e ein bisschen zu egal sind; vor allem aber, weil sie ihre Freundin damit in die sehr unangenehm­e Situation bringt, dem Kind eine Ansage zu machen. Oder besser noch: eine Ansage machen zu müssen. Haben Sie eine Stilfrage im Kopf? Schreiben Sie sie uns gern eine Mail an stilfrage@rheinische-post.de.

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