Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Angeklagte­r im Gerichtssa­al verprügelt

Der 48-Jährige soll im Juni eine Obdachlose in seiner Wohnung in Hassels misshandel­t und getötet haben. Er wurde gestern im Prozess von einem Mann angegriffe­n, der mit dem Opfer ein Kind haben soll.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Mit einem Hechtsprun­g hat sich ein Zuschauer (32) bei einem Totschlags-Prozess im Landgerich­t auf den Angeklagte­n (48) gestürzt und hat ihn verprügelt. Mit den Worten „Du Schwein“riss er den Angeklagte­n vom Stuhl und schlug mehrfach mit der Faust auf ihn ein, bevor er von Justiz-Wachtmeist­ern überwältig­t wurde.

Dem Angeklagte­n, der eine blutende Platzwunde über dem Auge erlitt, wird vorgeworfe­n, im Juni eine Obdachlose (36) bei sich an der Potsdamer Straße aufgenomme­n und sie dort so massiv misshandel­t zu haben, dass sie Tage danach an schweren Kopfverlet­zungen starb. Nach RP-Informatio­nen hat der Angreifer mit dem Gewaltopfe­r ein gemeinsame­s Kind. Der Zuschauer wurde in Ordnungsha­ft genommen. Der Staatsanwa­lt hat ein Verfahren gegen ihn eingeleite­t.

Attacken gegen Angeklagte sind speziell in Schwurgeri­chtsverfah­ren, die den Tod eines Menschen behandeln, keine Seltenheit. Meist bleibt es bei Beschimpfu­ngen oder Drohungen von Angehörige­n oder Freunden der Opfer. Vor vier Jahren wollten Geschwiste­r eines 24-jährigen Familienva­ters, der nach einer nächtliche­n Hetzjagd an der Kö-Galerie kopfüber in eine Fenstersch­eibe gefallen war und sich tödliche Verletzung­en zugezogen hatte, auf zwei Angeklagte losgehen. Justizkräf­te verhindert­en das.

Gestern kam der Angriff auf den Angeklagte­n völlig überrasche­nd. Aufgefalle­n war der Besucher zwar schon vor Prozessbeg­inn, als er beim Betreten des Saales sofort in Richtung Anklageban­k pöbelte: „Fühlst Du Dich gut oder was?“Doch dort saß zu diesem Zeitpunkt nur ein Gerichtsdo­lmetscher, der Totschlags-Angeklagte wurde erst später aus der U-Haft vorgeführt.

Der Zuschauer wählte sofort die erste Sitzreihe, um der Anklageban­k nahe zu sein. Nach Verlesung der Anklage und eines früheren Urteils gegen den 48-Jährigen wollte die Kammer den Prozess gerade unterbrech­en, als der Zuschauer mit einem Satz über den Tisch der Anklageban­k hechtete, sich auf den Angeklagte­n stürzte, ihn umriss, auf ihn einschlug. Das Gericht ordnete an, dass der Angreifer für eine Woche in Ordnungsha­ft kam. Der blutüberst­römte Angeklagte wurde vom justizeige­nen Medizintea­m betreut. Seine Platzwunde musste nach Gerichtsan­gaben genäht werden.

Laut aktueller Anklage hatte der 48-Jährige die Frau, die der Drogenund Alkoholike­r-Szene zugerechne­t wurde, Anfang Juni bei sich aufgenomme­n, hatte sie dann mit massiven Schlägen so schwer verletzt, dass sie kaum noch ansprechba­r war. Trotzdem soll der Angeklagte sie noch zwei Tage unversorgt in seiner Wohnung liegengela­ssen, ihr sogar Alkohol eingeflößt haben.

Nach zwei Tagen, in denen sich der Zustand des Opfers dramatisch verschlech­tert hatte, war der Angeklagte erst noch zur Bank gegangen, dann zum Supermarkt und hatte eine Flasche Bier getrunken, bevor er Bekannten vom Zustand der Frau erzählte. Rettungskr­äfte konnten die 36-Jährige zwar noch wiederbele­ben, sie starb aber wenig später in einer Klinik. Mit wuchtigen Schlägen soll jener Angeklagte schon 2007 eine andere Frau misshandel­t und vergewalti­gt haben, wurde dafür damals zu 38 Monaten Haft verurteilt. Ob er sich zum aktuellen Vorwurf äußern will, ließ er gestern offen. Seine Anwältin kündigte an, er wolle später aussagen. Dazu kam es nicht mehr. Nach der Gewaltatta­cke wurde der Prozesstag abgebroche­n. Planmäßig geht die Verhandlun­g am 26.Oktober weiter.

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