Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Handwerk braucht mehr Nachwuchs
Die Handwerksbetriebe im Rhein-Kreis Neuss haben acht Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahreszeitraum. Oft mangelt es schlicht an Lehrstellenbewerbern. Dabei bietet das Handwerk gute Perspektiven.
RHEIN-KREIS Die Qual der Wahl kann Luxus sein. Thomas Nink, Obermeister der Maler- und Lackierer-Innung im Rhein-Kreis Neuss, kennt eine Menge Kollegen, die bei der Suche nach Auszubildenden im Handwerk gerne überhaupt eine Wahl hätten. Im eigenen Familienbetrieb in Kaarst, den er längst an seine Töchter Sabine Nink und Stefanie Tolksdorf (geborene Nink) weitergegeben hat, ist das nicht anders. Natürlich weiß Nink, wie mühsam die Suche nach Nachwuchskräften im Handwerk sein kann. „Die Zahl der Bewerber ist oft so gering, dass gar keine vernünftige Auswahl möglich ist“, sagt er. Und bei der Qualität der Bewerber mangele es mitunter an Grundlegendem. „Im Betrieb meiner Töchter wurden Schnupperwochen angeboten, an denen zwei junge Leute teilnahmen: Der erste kam nicht mehr, weil ihm der Weg von Dormagen nach Kaarst zu weit war – und der zweite ist einfach ganz ohne Begründung nicht mehr erschienen.“Dabei hätte es im Malerbetrieb durchaus berufliche Perspektiven gegeben.
Das Problem ist kein Einzelfall. Im Rhein-Kreis wurden laut Kreishandwerkerschaft in den ersten neun Monaten dieses Jahres 470 Lehrverträge im Handwerk abgeschlossen – und damit 41 weniger (rund acht Prozent) als im Vorjahr. „Uns fehlen durch den demografischen Wandel, aber auch durch den zunehmenden Akademisierungswahn schlicht die Lehrstellenbewerber in vielen Handwerksbereichen“, sagt Klaus Koralewski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Niederrhein.
Zulauf haben in diesem Jahr die Metallbauer (von 13 im Vorjahr auf 18), die Dachdecker (von 20 auf 28) und auch die Bäcker (acht auf zwölf) verzeichnet. Einen Rückgang gab es nach einem Zwischenhoch im ver- gangenen Jahr bei den Anlagenmechanikern Sanitär-Heizung-Klimatechnik (von 74 auf 66), den Elektronikern (67 auf 49) und den Friseuren (73 auf 52). Bei Abschlüssen von Ausbildungsverträgen bleibt die Situation bei den Malern und Lackierern (23) zwar stabil. Dennoch muss sich laut Thomas Nink etwas än- dern, und zwar vor allem in der Außenwahrnehmung. Deshalb setzt die Kreishandwerkerschaft zum Beispiel auf die Mitwirkung an Projekten wie „Wirtschaft pro Schule“, deren Ziel es ist, Schülern konkret die Anforderungen und Perspektiven im Handwerk aufzuzeigen – von der dualen Ausbildung bis hin zum trialen Studium – Lehre, Meisterbrief und Bachelor in einem. Zudem gilt es, am Image des Handwerks zu arbeiten und auf Chancen aufmerksam zu machen. „Gerade die technisch anspruchsvollen Handwerksberufe wie Elektroniker, Kfz-Mechatroniker oder Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik bieten sehr sichere Arbeitsplätze und hervorragende Zukunftsperspektiven“, erklärt Koralewski. Hinzu komme, dass viele Betriebe schon jetzt nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte suchen, sondern auch Nachfolger für die Unternehmensführung. Denn nicht jeder hat das Glück, seinen Betrieb wie Thomas Nink innerhalb der Familie übergeben zu können. „Das zieht sich durch nahezu alle Handwerksbranchen“, betont Koralewski. Eine handwerkliche Ausbildung biete eine hervorragende Basis für eine spätere Selbstständigkeit.