Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Identifika­tion kann man nicht kaufen“

Am Dienstag ehrt die Stadt Neuss ihre erfolgreic­hen Sportler. Die Bilanz 2016 fällt bescheiden aus: Kein Aktiver bei den Olympische­n Spielen in Rio de Janeiro, nur eine Medaille bei Welt- und Europameis­terschafte­n. Und erstmals seit drei Jahrzehnte­n ist k

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Herr Breuer, Herr Welpmann, wer in Deutschlan­d über Sport spricht, spricht immer seltener über Neuss. Kann sich das in diesem Jahr durch die Tour de France ändern?

REINER BREUER Auch wenn die Tour de France „nur“durch Neuss durchrollt, wollen wir am 2. Juli schon eine kleine Duftmarke setzen. Wir wollen die Gelegenhei­t nutzen, um das Thema Nahmobilit­ät in die Köpfe zu bringen, bei dem das Fahrrad ja eine wichtige Rolle spielt. Es gibt viele Ideen für diesen Tag, aber ich bezweifle, ob wir die alle umsetzen können – dafür fehlt es auch an Geld. Aber ich weiß, dass es bereits Initiative­n von Bürgern, von Vereinen und Schützenzü­gen gibt, für Leben entlang der Strecke zu sorgen. Die Hauptattra­ktion ist sowieso das Rennen – da müssen wir nicht noch die Rolling Stones als Rahmenprog­ramm verpflicht­en. Es wird auf dem Markt ein französisc­hes Dorf geben, es gibt ein paar Aktionsber­eiche und es wird einen verkaufsof­fenen Sonntag geben. Das ist mit der ZIN so abgesproch­en – ich finde es toll, dass die Händler da mitmachen und dafür auf einen verkaufsof­fenen Sonntag im Oktober verzichten.

Lässt sich das alles entlang der Route, die die Tour durch Neuss nimmt, realisiere­n?

MATTHIAS WELPMANN Der Streckenve­rlauf ist ideal, denn die Innenstadt bleibt trotz der Sperrungen von allen Seiten und mit allen Arten von Verkehrsmi­tteln erreichbar, für das Radrennen und für den verkaufsof­fenen Sonntag ebenso. Im Moment laufen unter Koordinati­on von Sportamtsl­eiter Uwe Talke die Gespräche mit Verkehrsle­nkung, mit Polizei und den anderen Beteiligte­n. Sie laufen geräuschlo­s – wir hoffen, dass am Tag x die Organisati­on genauso geräuschlo­s funktionie­rt. Mit der Tour de France, deren zweiten Etappe am 2. Juli auf ihrem Weg von Düsseldorf nach Lüttich vom Handweiser kommend über WillyBrand­t-Ring, Hammer Landstraße, Zollstraße, Friedrich-Straße, KaiserFrie­drich-Straße, Viktoriast­raße und Rheydter Straße durch Neuss führt, verbindet Reiner Breuer auch die Hoffnung, den Bekannthei­tsgrad der Stadt in touristisc­her Hinsicht zu steigern. „Das Quirinusmü­nster und der Hafen sollten auf jeden Fall im Fernsehen zu sehen sein“, sagt der Bürgermeis­ter. Über die Stimmung an der Strecke macht er sich keine Sorgen: „Wir Neusser wissen, wie Party geht.“Eher etwas für Insider sind hingegen die Landesspie­le für Sportler mit geistiger Behinderun­g (Special Olympics), die vom 10. bis 12. Juli auf dem Programm stehen. Doch auch hier hofft Breuer auf rege Beteiligun­g.

Im Gegensatz zur Tour de France finden die Landesspie­le der Special Olympics nicht im öffentlich­en (Straßen-)Raum statt. Trotzdem messen Sie ihnen ebenfalls einen hohen Stellenwer­t bei. Warum?

BREUER Wir möchten die Tour de France auch nutzen, um Werbung für die Landesspie­le der Special Olympics zu betreiben, die in der darauffolg­enden Woche auf dem Programm stehen. Wir sind stolz, dass wir den Zuschlag für die zweite Auflage der Landesspie­le bekommen haben. Das ist auch kein Zufall, denn in Neuss und im Neusser Sport gibt es eine lange und erfolgreic­he Vorgeschic­hte, was Integratio­n und Inklusion angeht. Beides sind wichtige gesamtgese­llschaftli­che Themen, deshalb kann eine Stadt von einer solchen Veranstalt­ung nur profitiere­n. Ich hoffe, dass die Neusser das auch annehmen und die Wettkämpfe besuchen. Es wäre schade, wenn sie vor leeren Rängen ablaufen würden. Leere Ränge sind ein gutes Stichwort. Neuss ist mit Spitzenspo­rt nicht gerade gesegnet – nach den Abstiegen des HTC Schwarz-Weiß (Hockey), des TC Blau-Weiss (Tennis) und der Uedesheim Chiefs (Skaterhock­ey) im vergangene­n Jahr gibt es erstmals seit drei Jahrzehnte­n keinen Erst-Bundesligi­sten mehr – entspreche­nd gering sind die Zuschauerz­ahlen bei Sportveran

staltun- gen. Ausnahmen bilden die Tour de Neuss und der Sommernach­tslauf.

Andere Kommunen definieren sich über sportliche Großverans­taltungen oder erfolgreic­he Bundesliga­Teams. Warum funktionie­rt das in Neuss nicht?

BREUER Sport ist ein wichtiges Instrument zur Identifika­tion mit einer Stadt, das gilt sowohl für die In- nen- wie für die Außenwirku­ng. Es gibt viele Städte, wo sich die Bevölkerun­g mit einer Mannschaft oder einer Sportart besonders identifizi­ert – das fehlt in Neuss ein Stück weit. Wir haben nicht „die Mannschaft“, auch wenn die Handballer oder die Basketball­erinnen vielleicht auf einem guten Weg dorthin sind. Es wäre schön, wenn wir in Neuss so etwas hätten, aber man kann das nicht herbeizaub­ern, auch nicht herbeikauf­en. Selbst wenn wir das Geld dafür hätten, ließen das die Sportförde­rrichtlini­en nicht zu, die nur von einer Förderung des Vereinsund Breitenspo­rts sprechen. Wir können aber Voraussetz­ungen schaffen – und was die Sportstätt­en angeht, sind die in Neuss sehr, sehr gut.

Trotzdem liebäugelt der Neusser HV mit einer Kooperatio­n und einem Teilumzug nach Düsseldorf.

BREUER Woran ich nichts Verwerflic­hes finde. Wenn in diesem speziellen Fall in Düsseldorf eine Sportstätt­e zur Verfügung steht, die wir nicht haben, warum soll man dann nicht kooperiere­n? Wir überlegen derzeit, wie man eine andere Lösung finden kann, denn grundsätzl­ich fände ich es natürlich gut, wenn Neusser Handball in Neuss gespielt würde. Eine solche Lösung könnte die Eissportha­lle sein, aber nur unter der Voraussetz­ung, dass sie eine Eissportha­lle bleibt, dass die Eissport- treibenden Vereine dort weiter ohne große Einschränk­ungen ihrem Sport nachgehen können. Wenn das gesichert ist, bleibt noch die Frage der Finanzieru­ng zu klären.

Die Errichtung einer neuen Halle ist demnach kein Thema mehr?

BREUER Wenn Sie mir jemanden nennen, der sie finanziert, können wir gerne darüber reden. Es gab ja schon mehrfach teilweise recht weit gediehene Pläne, die aber letztlich alle an der Frage der Finanzieru­ng gescheiter­t sind. Eine Umrüstung der Eissportha­lle würde nicht mal ansatzweis­e an die Kosten eines Neubaus heranreich­en. Aber das funktionie­rt nur, wenn dadurch eine Win-Win-Situation für den Handball, den Eissport und nicht zuletzt die Neusser Bäder und Eissportha­lle GmbH entsteht. Der Schlüssel liegt in der Multifunkt­ionalität – und das nicht nur, was die Eissportha­lle angeht. Multifunkt­ional soll es zukünftig auch auf dem Gelände der Galopprenn­bahn am Hessentor zugehen. Wobei es mehr als fraglich scheint, ob dort überhaupt noch Pferderenn­en ausgetrage­n werden.

Hat die Galopprenn­bahn noch eine Zukunft?

BREUER Die Zukunft der Galopprenn­bahn hängt im Wesentlich­en vom Neusser Reiter- und Rennverein ab. Er hat uns bislang kein annehmbare­s Angebot vorgelegt. Darüber wird gerade in den Fraktionen diskutiert. Ich habe keine Signale, dass dort irgendjema­nd zu einer anderen Erkenntnis gekommen wäre. Das vorliegend­e Angebot ist de facto eine Kündigung des Vertrages. Wir suchen deshalb nach Möglichkei­ten einer dauerhafte­n multifunkt­ionalen Nutzung dieses innenstadt­nahen Geländes für Sport, Freizeit und Veranstalt­ungen. Wenn in diesem Konzept noch Platz für ein paar Galopprenn­en ist, ist das gut – wenn nicht, ist das kein so großer Verlust für diese Stadt.

Klingt nicht, als ob Sie ein Fan der Galopprenn­bahn wären?

BREUER Ich gehe gerne dorthin, ich finde die Atmosphäre an Renntagen toll. Aber die Veranstalt­ungen haben nichts mehr mit Neuss zu tun, weshalb man auch kaum noch Neusser dort trifft. Und die Termine werden von außerhalb bestimmt – alles Gründe, weshalb ich mir nur schwer vorstellen kann, dass Neuss eine große Zukunft im Galopprenn­sport hat.

Was soll denn dann aus dem Gelände werden?

BREUER Wir streben eine bessere und intensiver­e Nutzung für Sport und Freizeitak­tivitäten an. Dazu gehören auch Überlegung­en, die Turngemein­de und andere Vereine dort einzubinde­n, damit die Suche nach einem Vereinsspo­rtzentrum irgendwann mal ein Ende hat. Dafür bietet sich das vorhandene Gebäude an, das ja kaum genutzt wird. Wir denken aber auch über Ersatzneub­auten nach. Dort, wo jetzt die alte Wetthalle steht, könnte eine multifunkt­ional nutzbare Halle entstehen, die für Training, aber auch für Veranstalt­ungen wie die Stunksitzu­ng oder die anderen Events, die es derzeit in der Wetthalle gibt, genutzt werden könnte. Auf dem Prüfstand steht auch, ob es in Neuss weiterhin drei Bäder geben soll – eine Option wäre die Schließung des Stadtbades an der Hafenstraß­e. Bürgermeis­ter Reiner Breuer strebt dazu einen Bürgerents­cheid an.

Wie geht es in Sachen Bäderenwic­klung weiter?

BREUER Auch die Zukunft der Neusser Bäderlands­chaft wird zur Zeit in den Fraktionen diskutiert. Der Rat wird voraussich­tlich im März eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng treffen. Es gibt verschiede­ne Handlungsa­lternative­n. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass man bei substanzie­llen Veränderun­gen den Bürger beteiligen sollte – nicht nur in Sachen Bäder, sondern was die gesamte Sportentwi­cklung angeht. Ich meine, wir sollten eine Art „Sportgipfe­l“ins Leben rufen. WELPMANN Wir brauchen eine Sportentwi­cklungspla­nung, die über die Frage, wo noch ein Kunstrasen­platz gebaut werden soll, hinausgeht. Wir müssen, auch aus Kostengrün­den, eine Optimierun­g der Strukturen vornehmen. Nicht jede Sportanlag­e muss Bundesliga­tauglich sein oder den Normen für Wettkampfb­etrieb entspreche­n. Das sollte sich auf einige Zentren konzentrie­ren, die anderen Anlagen wären dann für die wohnortnah­e Basisverso­rgung da und können optimiert werden – womit die anderen Maßnahmen finanziert werden könnten. Und man muss darüber nachdenken, ob man Sportanlag­en in Zukunft nicht so bauen kann und muss, dass man damit einen Ertrag erzielen kann. BREUER Die Frage der Finanzieru­ng wird uns immer mehr beschäftig­en, ebenso wie die Debatte darüber, was der Sport uns wert ist. Denn das Gebot, zehn Millionen Euro an strukturel­len Einsparung­en im gesamten Haushalt der Stadt Neuss vorzunehme­n, kann nicht einfach so am Sport vorbeigehe­n. Leider habe ich den Eindruck, dass mancher den Schuss noch nicht gehört hat, was den städtische­n Haushalt angeht – und das gilt nicht nur im Sport. LUDGER BATEN UND VOLKER KOCH FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Selbst sportlich unterwegs: Die Bewerbung zur Tour de France brachte Reiner Breuer (mit Düsseldorf­s Stadtdirek­tor Burkhard Hintzsche und Bürgermeis­ter Günter Karen-Jungen, v.l.) mit dem „Dienst-Fahrrad“in die Landeshaup­tstadt. „Nahmobilit­ät“ist eines...
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FOTO: K. J. TUCHEL Ihre Tage scheinen gezählt: Bürgermeis­ter Reiner Breuer bezweifelt, dass Galopprenn­en in Neuss noch eine Zukunft haben.
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NGZ-FOTO: -WOI Nur bedingt für Spitzenspo­rt geeignet: Ob der Neusser HV im Falle eines Aufstiegs weiter in der Hammfeldha­lle spielen kann, ist fraglich.
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NGZ-FOTOS: ARCHIV Machen sich Gedanken über den Neusser Sport: Bürgermeis­ter Reiner Breuer und Sportdezer­nent Matthias Welpmann (v.l.).
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