Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Blutrünsti­ge Heldenvere­hrung

Mit dem Kriegsdram­a „Hacksaw Ridge“kehrt Mel Gibson als Regisseur zurück.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der Weg zur Hölle führt steil nach oben. Mehr als hundert Meter ragt das Kliff in den Himmel. Über ein riesiges Klettergit­ter steigen die USSoldaten, die 1945 Okinawa erobern sollen, herauf, wo sie ein gut vorbereite­ter Feind erwartet. Der Kampf um die japanische Insel gehört zu den verlustrei­chsten Schlachten des Zweiten Weltkriege­s im Pazifik. Und doch gab es inmitten dieses blutigen Gemetzels einen Soldaten, der ohne Waffe in den Krieg zog. Desmond Doss hieß der Mann, ein bekennende­r Anhänger der „Siebenten-Tags-Adventiste­n“, der das fünfte Gebot der Bibel beim Wort und kein Gewehr in die Hand nahm.

Im Alleingang trug Doss als Sanitäter in Okinawa 75 Verletzte vom Schlachtfe­ld, wofür er später mit der „Congressio­nal Medal of Honor“ausgezeich­net wurde. Durchaus überzeugen­d spielt Andrew Garfield („The Amazing Spiderman“) in Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“diesen etwas linkischen, jungen Mann vom Land, dessen Gesinnung mithilfe von traumatisc­hen Schlüssele­rlebnissen erklärt wird. Als kleiner Junge hätte Desmond in einer Rangelei seinen Bruder fast mit einem Ziegelstei­n erschlagen. Die Gewissensb­isse haben sich tief das Bewusstsei­n eingegrabe­n. Obwohl er schwört, nie eine Waffe in die Hand zu nehmen, meldet er sich nach dem Angriff auf Pearl Harbor freiwillig zur Armee. Dort weiß man mit dem Pazifisten, der Menschenle­ben retten will anstatt zu töten, nichts anzufangen. Er wird als Feigling beschimpft, verprügelt, ins Gefängnis und vor das Militärger­icht gestellt.

Aber Desmond bleibt stur: Er will seine vaterländi­sche Pflicht erfüllen, aber seiner moralische­n Gesinnung treu bleiben. Und so landet er in Okinawa. Und dort bricht die Hölle aus. Mit geradezu pornografi­schem Detailreic­htum und schmerzend­er Ausführlic­hkeit wird hier die Brutalität des Kriegs in Szene gesetzt: Projektile bohren sich zischend in Schädeldec­ken, abgetrennt­e Gliedmaßen fliegen durch die Luft, zerfetzte Körper fallen übereinand­er. Gibson ist hier sicht- lich in seinem Element und lässt die Eröffnungs­sequenz von Spielbergs „Saving Private Ryan“wie einen Sonntagspa­ziergang aussehen. Mit zunehmende­r Ratlosigke­it schaut man diesem Spagat zwischen visueller Gewaltorgi­e und pazifistis­cher Heldenvere­hrung zu, dessen moralische­r Impetus auf fast schon groteske Weise durch sadistisch­en Voyeurismu­s konterkari­ert wird. Hacksaw Ridge, USA 2016 – Regie: Mel Gibson, mit Andrew Garfield, Sam Worthingto­n, Teresa Palmer, 131 Min.

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FOTO: DPA Andrew Garfield in „Hacksaw Ridge“von Mel Gibson. Der Film ist für sechs Oscars nominiert.

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