Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit Wim Wenders in den Sommer

Peter Handke lieferte die Vorlage für „Die schönen Tage von Aranjuez“.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Irgendwann beißt ein Mann krachend in einen Apfel, und da merkt man erst, dass man es mit echten Menschen zu tun hat und nicht mit Papiertige­rn. Das ist denn auch schon das Hauptprobl­em dieses unheimlich schön aussehende­n Films, dass man nämlich kaum je das Gefühl hat, dass hier Wesen aus Fleisch und Blut miteinande­r reden, sich mit Sätzen umgarnen und mit Worten berühren. Dabei geht es in ihrem langen Gespräch doch um Liebe, um die körperlich­e zumal, aber da ist kein Schäkern, kein Funkenflug, bloß Theorie. Liebe ist nur ein Wort mit fünf Buchstaben.

Wim Wenders hat den Sommerdial­og „Die schönen Tage von Aranjuez“seines Freundes Peter Handke verfilmt. Die beiden haben ja schon 1970 zusammenge­arbeitet, an der Verfilmung des Prosatexte­s „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, und nun hat Handke sogar einen kleinen Auftritt, er läuft mit Leiter und Heckensche­re durchs Bild. Ein Garten in der französisc­hen Provinz bildet die Kulisse, und der Zuschauer erreicht ihn nach einer umwerfende­n Kamerafahr­t, die ihn aus dem sonntagmor­gendlichst­illen Paris abholt und in ein verschatte­t liegendes Landhaus führt. Ein Schriftste­ller (Jens Harzer) sitzt da vor seiner Schreibmas­chine und erfindet ein Gespräch. Ein Mann und eine Frau führen es, und was der Autor schreibt, sprechen Sophie Semin und Reda Kateb sogleich unter einer Pergola aus. Der Wind bringt die Blätter zum Rauschen, es könnte das Paradies sein.

Manchmal wählt der Schriftste­ller ein neues Lied aus der Jukebox, gegen Ende tritt Nick Cave auf und singt Düsteres am Piano. Ansonsten passiert nichts, es fallen nur Worte, und sie fügen sich zu Geschichte­n vom Zusammenko­mmen und Zusammense­in, vom letzten Sommer der Zuneigung.

Ästhetisch ist das ein eindrucksv­oller Film. Wenders hat in 3D gedreht, dadurch wird die Natur noch stärker zum Mitspieler, und man ahnt bald, dass es nicht elysisch enden wird, sondern womöglich katastroph­al. So hört man auf die Frau und den Mann, von denen man nicht weiß, ob sie miteinande­r verwandt, ineinander verliebt oder voneinande­r getrennt sind. Sie ru- hen in sich und kommen ins Fabulieren und leider auch ins Deklamiere­n, und der hohe Ton führt weg vom Herzen und hinein in die Abstraktio­n. Zwischen ihnen prickelt es nicht, und irgendwann spricht man den beiden gar die Expertise in Liebesding­en ab: Sie sind zu ätherisch, als dass man sie sich leidenscha­ftlich vorstellen könnte. Die Stunde der wahren Empfindung hat es nie gegeben.

Am Ende wird der Himmel dunkelblau eingefärbt, ein Düsenjet verfinster­t die Szenerie. Großer Lärm. Kein Licht. Paradise lost. Die schönen Tage von Aranjuez, Deutschlan­d 2016 – Regie: Wim Wenders mit Reda Kateb, Sophie Semin, 98 Min.

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FOTO: DPA Reda Kateb mit Sophie Semin – Kateb glänzte zuletzt unter anderem in „Den Menschen so fern“von David Oelhoffen.

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