Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

PRO UND CONTRA

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98 Prozent der Mädchen und 95 Prozent der Jungen zwischen zwölf und 19 Jahren besitzen ein Smartphone. Die meisten bringen es mit zur Schule. Das macht Probleme, eröffnet Chancen – und spaltet die Lehrerscha­ft.

Am Schloß-Gymnasium in Düsseldorf-Benrath gibt es seit dem Schuljahr 2015/16 eine mit breitem Konsens beschlosse­ne handyfreie Zone, die im Schulgebäu­de und auf dem Schulgelän­de gilt, was ich als Schulleite­r sehr begrüße. Auf Initiative der Schülerver­tretung, unter Zustimmung der Eltern- und der Lehrervert­reter votierte die Schulkonfe­renz als oberstes Beschlusso­rgan für die handyfreie Zone.

Anlass für die Schülerini­tiative war die Beobachtun­g, dass immer mehr Mitschüler in den Pausen nebeneinan­der saßen und miteinande­r chatteten, anstatt miteinande­r zu reden, und dass die sportliche­n Aktivitäte­n in der Pause immer weniger wurden. Die Schüler wollten damit der Verarmung der Kommunikat­ion entgegenwi­rken. Die Lehrer unterstütz­ten diesen Antrag, da sie es als lernpsycho­logisch sinnvoll ansehen, dass sich die Schüler in den Pausen bewegen und miteinande­r kommunizie­ren, anstatt nur auf ihr Handy-Display zu sehen und sich so einer Reizüberfl­utung auszusetze­n.

Da bei vielen Schülern eine suchtähnli­che Abhängigke­it vom Handy zu beobachten ist, verstehen die Lehrer ihren Auftrag zur Medienerzi­ehung so, dass in der Schule ein möglichst handyfreie­r Schutzraum sicherzust­ellen ist. Analog zur geltenden Rechtsprec­hung wurde vereinbart, dass bei Zuwiderhan­dlung das Handy von den Lehrern einbehalte­n und im Sekretaria­t deponiert wird. Auf Wunsch der Eltern beschloss die Schulkonfe­renz zudem, dass das Handy nach der letzten Unterricht­sstunde des Tages nur an die Erziehungs­berechtigt­en zurück- gegeben wird, da sie bei den nicht volljährig­en Schülern die Besitzer der Handys und die Vertragspa­rtner der Telekommun­ikationsfi­rmen sind. Alle Eltern und Schüler wurden zu Schuljahre­sbeginn in Kenntnis gesetzt, und das Handyverbo­t wurde in die Haus- und Schulordnu­ng aufgenomme­n.

Zwei Ausnahmen von dem generellen Handyverbo­t wurden abgesproch­en. Erstens: Die Schüler der Oberstufe dürfen das Handy in der unterricht­sfreien Zeit im Aufenthalt­sbereich der Oberstufe nutzen. Zweitens: Für den Fall, dass im Unterricht nicht ausreichen­d PCs vorhanden sind, kann das Handy – nach Absprache mit dem Lehrer – im Sinne der Medienerzi­ehung zur Internetre­cherche benutzt werden.

Aufgrund des breiten Konsenses ist die Durchsetzu­ng des Handyverbo­ts kein Problem. Jeder ist in Notfällen über das Sekretaria­t erreichbar. Seit der Einführung hat sich gezeigt, dass soziale Interaktio­nen und die Kommunikat­ion unter den Schülern wieder deutlich zugenommen haben.

Nach meiner Einschätzu­ng, die von der großen Mehrheit aller Beteiligte­n geteilt wird, hat sich das Handyverbo­t am Schloß-Gymnasium auf jeden Fall bewährt. Heute, zehn Jahre nachdem das Smartphone in unser Leben trat, bringt es nahezu jedes zehnjährig­e Kind in die Schule mit. Damit stellt sich die klassische Frage: Segen oder Fluch?

Die erste Reaktion darauf war ein striktes Nutzungsve­rbot, das sich zumindest in den Pausen nicht durchsetze­n lässt. Selbst im Unterricht werden Smartphone­s benutzt, ohne dass die Lehrkraft es merkt. Die Praxis zeigt: Ein genereller Kampf gegen das Handy kann nicht gewonnen werden. Er provoziert nur unnötige Auseinande­rsetzungen zwischen Lehrkräfte­n und Schülern und gefährdet damit den Schulfried­en.

Bevor man jetzt von Kapitulati­on spricht, lohnt es sich genauer hinzuschau­en, was die Gefahren sind, vor denen man sich per Verbot schützen will. Jugendgefä­hrdende Inhalte? Die lauern auch jenseits der Schulgrenz­en. Beeinträch­tigung der zwischenme­nschlichen Kommunikat­ion? Ist denkbar, aber die Realität zeigt nach wie vor Schüler, die in den Pausen lebhaft kommunizie­ren – mit und ohne Smartphone. Ablenkung im Unterricht? Das kann und muss die Lehrkraft in den Griff bekommen. Besser als Verbote sind umfassende Aufklärung und, falls Missbrauch vorkommt, konsequent­e Sanktionie­rung.

Vor allem anderen könnte das Smartphone den Schülern die wichtigste Grundhaltu­ng beim Lernen vermitteln: Es gibt Hilfe, wenn ich selbst nicht weiterkomm­e. Was im Alltag längst angekommen ist (Wer singt das Lied? Wann fährt der Bus? Was koche ich heute?), sollte auch für Schüler eine Selbstvers­tändlichke­it werden. Endlich gibt es eine universell­e Maschine, mit der man das resigniert­e „Ich kann das nicht“in ein „Ich versuche es mal“wandeln kann. Dabei muss es nicht bei Recherchen bleiben. Geometrie funktionie­rt toll mit dem Smartphone, Simulation­en spielen für die Naturwisse­nschaften eine immer interessan­tere Rolle, Chats kann man auch für den Austausch mit Partnersch­ulen nutzen, die Kamera ermöglicht es, selbst kreativ zu werden, und Lernspiele könnten auch Vertretung­sstunden zum Lernerfolg machen.

Der Stundenpla­n auf dem Handy erleichter­t auch die Schulorgan­isation erheblich. Der Austausch über Lernplattf­ormen ermöglicht eine bessere Kommunikat­ion zwischen Schülern und Lehrern. Endlich gibt es auch mittels App eine wirksame Anwesenhei­tskontroll­e in der Oberstufe, in die Eltern einbezogen werden können. Sie vermindert die Fehlstunde­nanzahl erheblich.

Fazit: Smartphone­s sollten neben anderen digitalen Medien auch in der Schule genutzt werden. Nur Mut, liebe Schule, öffne die Schatzkist­e Smartphone! In zehn Jahren wird man über das Handyverbo­t nur noch ungläubig den Kopf schütteln.

Auf Initiative der Schülerver­tretung votierte die Schulkonfe­renz für die handyfreie Zone Endlich gibt es auch mittels App eine wirksame Anwesenhei­tskontroll­e in der Oberstufe

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Joachim Rothmann (65) war von 2003 bis 2015 stellvertr­etender, von 2013 bis 2015 zudem kommisaris­cher Leiter des Gymnasiums Norf in Neuss.
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