Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Agenda des Martin Schulz

Wofür steht der künftige SPD-Kanzlerkan­didat? Bisher war der Ausblick stark verengt. Nach und nach bekennt Schulz nun Farbe.

- VON JAN DREBES

BERLIN Die SPD befindet sich in einem wahren Martin-Schulz-Taumel. Mehr als 1800 Parteieint­ritte seit Bekanntgab­e seiner Kanzlerkan­didatur in der vergangene­n Woche lösen für Euphorie bei den Genossen aus. Derweil bleibt jedoch die Frage im Raum, wofür Schulz innenpolit­isch eigentlich steht. Nach seiner Antrittsre­de am Sonntag, diversen TV-Auftritten und einer Pressekonf­erenz gestern in Berlin kommt mehr Licht ins Dunkel. Ein Überblick über die (bisher bekannte) Agenda des Martin Schulz: Steuern und Finanzen Soziale Gerechtigk­eit steht für Martin Schulz an erster Stelle. Für die Steuer- und Finanzpoli­tik bedeutet das aus seiner Sicht, dass die Steuerfluc­ht von Wohlhabend­en und Unternehme­n härter bekämpft werden muss. Schulz plädiert – wie Noch-Parteichef Sigmar Gabriel – für Investitio­nen in Infrastruk­tur und Bildung, statt Haushaltsü­berschüsse für Schuldenti­lgung oder Steuersenk­ungen aufzuwende­n. Schulz sagte gestern, dass „Riesenverm­ögen“höher belastet werden müssten als kleine und mittlere. Er sprach sich dafür aus, die pauschale Abgeltungs­teuer von 25 Prozent auf Kapitalert­räge abzuschaff­en. Schulz lobte SPD-Vorschläge für eine weitere Reform der Erbschafts­teuer anstelle einer Vermögenst­euer. Arbeitsmar­kt und soziale Sicherheit In den vergangene­n Tagen lobte Schulz die Einführung des Mindestloh­ns, plädierte für eine Erhöhung der Tariflöhne vor allem in sozialen Berufen und kündigte an, sich für das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“einzusetze­n. Die Tarifpartn­er dürften nicht gegeneinan­der ausgespiel­t werden, sagte Schulz. Er wolle das von Gabriel reparierte gute Verhältnis der SPD zu den Gewerkscha­ften fortsetzen. Zugleich sagte er, dass die Kanzlersch­aft Gerhard Schröders Deutschlan­d gutgetan habe. Dessen Agenda-Politik war jedoch einst der Grund für den Bruch zwischen Genossen und Gewerkscha­ftern. Kritik dazu kam von FDP-Chef Christian Lindner. „Herr Schulz hat eine lange Liste neuer Ausgabenwü­nsche vor- gelegt, aber wenig zum Erwirtscha­ften unseres Wohlstands gesagt“, sagte Lindner der „Welt“. Bildung Gebührenfr­eiheit von der Kita bis zum Studium, das ist Schulz’ Kernforder­ung in der Bildungspo­litik bisher. Er wolle für mehr Chancenger­echtigkeit beim Zugang zu Bildung sorgen. Als gelernter Buchhändle­r sei es ihm wichtig, dass dabei die musische Bildung und die Investitio­nen in Bibliothek­en und Theater nicht vergessen würden, sagte Schulz. Innere Sicherheit In seiner einstündig­en Antrittsre­de am Sonntag hatte Schulz sein Verständni­s von Sicherheit­spolitik auf diese Formel gebracht: eine Null-Toleranz-Politik mit Augenmaß. Wer in Deutschlan­d straffälli­g werde und sich nicht an die Regeln halte, werde die volle Härte deutscher Gesetze und der Sicherheit­sbehörden spüren, sagte Schulz. Er wolle entschiede­n gegen Rassisten, Extremiste­n und Populisten kämpfen, für Terror gebe es keine Rechtferti­gung, so der 61-Jährige. Dafür brauche es mehr Prävention­sarbeit. Schulz verurteilt­e eine neoliberal­e Ideologie der vergangene­n Jahrzehnte, die zu einer immer schwächere­n Polizei geführt habe. Gleichzeit­ig warnte er davor, im Zuge populistis­cher Politik die Rechtsstaa­tlichkeit auszuhebel­n. Außen- und Flüchtling­spolitik Schulz, der in dieser Woche sein EUParlamen­tsmandat niederlege­n wird, forderte mehr Solidaritä­t etwa in der Flüchtling­spolitik und drohte mit finanziell­en Konsequenz­en bei der nächsten EU-Finanzplan­ung. Schulz begrüßte die EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei und forderte ein europäisch­es Einwanderu­ngsgesetz. Bei den Finanzbezi­ehungen machte er deutlich, dass für ihn die Debatte um die umstritten­en Euro-Bonds (gemeinsame Staatsanle­ihen), für die er sich einst ausgesproc­hen hatte, erledigt sei. „Wir haben den europäisch­en Stabilität­smechanism­us eingeführt, indem mehrere Hundert Milliarden Euro eingelegt worden sind zur Sicherung des Währungssy­stems. Damit hat sich die Bonds-Debatte erledigt“, sagte Schulz gestern in Berlin. Umwelt- und Klimaschut­z Die Grünen warfen Schulz vor, zu diesem Kapitel nicht genug geliefert zu haben. Schulz nannte den Umweltschu­tz die zentrale Aufgabe der heutigen Generation. Er lobte den Abschluss internatio­naler Klimaabkom­men und plädierte dafür, „den Landschaft­s- und den Tierschutz endlich ernst zu nehmen“. Zu umstritten­en Themen wie dem KohleAusst­ieg sagte er nichts. Digitalisi­erung Schulz nannte es in seiner Rede absurd, dass ein Viertel der Bürger, die im ländlichen Raum lebten, keinen oder nur schlechten Zugang zum Internet hätten. Er mahnte mehr Investitio­nen an. Aber es brauche auch Regeln, sagte Schulz. Er warb für eine Grundrecht­e-Charta für die digitale Welt, um die Pluralität und den Schutz des Einzelnen im Netz zu bewahren.

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FOTO: DPA Martin Schulz (61) stellte gestern in der SPD-Parteizent­rale in Berlin seine innenpolit­ischen Pläne vor.

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