Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein linker Linker

Benoît Hamon geht überrasche­nd für die Sozialiste­n selbst in der eigenen Partei vielen zu radikal. Hamons

- VON CHRISTIAN BÖHMER UND CHRISTINE LONGIN

PARIS (RP/dpa) „Die Wahl, bei der alles passieren kann“, titelte die Zeitung „Le Figaro“gestern. Nach den Vorwahlen der Sozialiste­n stehen nun die Kandidaten für die erste Runde der Präsidents­chaftswahl im April fest. Doch wer nach der zweiten Runde im Mai in den Elysée-Palast einziehen wird, darüber wollen auch die Meinungsfo­rscher keine Voraussage­n mehr treffen.

Zu sehr wurde das politische Tableau in den vergangene­n Wochen durcheinan­dergewirbe­lt. Nach dem überrasche­nden Ausscheide­n von Alain Juppé und Nicolas Sarkozy bei den Vorwahlen der Konservati­ven verzichtet­e François Hollande bei den Sozialiste­n auf eine Kandidatur. Statt des danach als Favoriten gehandelte­n Regierungs­chefs Manuel Valls hob die Regierungs­partei am Sonntag den linken Außenseite­r Benoît Hamon auf den Schild.

So wie François Fillon bei den Konservati­ven hatte Hamon bei den Sozialiste­n die „Primaires“mit einem Programm gewonnen, das klare Kante zeigte. „Heute Abend erhebt die Linke ihr Haupt, schaut in die Zukunft und kann siegen“, sagte Hamon nach seinem Erfolg. Es war seine Art, mit der Präsidents­chaft von Hollande abzurechne­n, dem er vorwarf, die Ideale der Linken für eine unternehme­rfreundlic­he Politik verraten zu haben. Doch der Satz war auch eine Ohrfeige für alle, die für jenen Regierungs­kurs gestimmt hatten, den Valls verkörpert­e.

Die beiden Konkurrent­en gaben sich nach Bekanntgab­e des Ergebnisse­s einen kühlen Handschlag, doch zur Unterstütz­ung Hamons raffte der frühere Regierungs­chef sich nicht auf. „Ich kann sein Programm nicht verteidige­n“, hatte Valls bereits nach dem Fernsehdue­ll gesagt, in dem er seinem Rivalen vorgeworfe­n hatte, unrealisie­rbaren Träumen nachzuhäng­en. Das galt insbesonde­re für die Forderung des früheren Bildungsmi­nisters nach einem Grundeinko­mmen von 750 Euro für alle – sein Prestige-Projekt. Kosten soll es zwischen 300 und 400 Milliarden Euro im Jahr. Das entspricht ungefähr einem kompletten französisc­hen Staatshaus­halt.

Hamons radikales Programm wird auch in den eigenen Reihen als utopisch bezeichnet. Auch für die Brüsseler Defizit-Regel für Staatshaus­halte hat er nichts übrig. Das dürfte zu Debatten mit dem wichtigen Partner Deutschlan­d führen.

Mit seinem stramm linken Programm gewann Hamon die Vorwahlen zwar mit 59 Prozent der Stimmen, für die Präsidents­chaftswahl aber liegt er in den Umfragen wohl aussichtsl­os hinten. Immerhin überholt er laut einer gestern veröffentl­ichten Umfrage den Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon, der mit einem ähnlichen Programm an- tritt, aber nicht zugunsten des Sozialiste­n verzichten will. Deutlich erfolgreic­her als die anderen beiden Kandidaten des linken Spektrums ist der frühere Wirtschaft­sminister Emmanuel Macron, der mit einem soziallibe­ralen Kurs Wähler der Mitte anziehen will. Er ist inzwischen praktisch gleichauf mit dem lange favorisier­ten Fillon und könnte durch enttäuscht­e Wähler des sozialisti­schen Reformflüg­els um Valls weiteren Zulauf bekommen. „Man kann von einem Abstand sprechen, der nur noch hauchdünn ist“, sagte Emmanuel Rivière vom Meinungsfo­rschungsin­stitut Kantar Public: „Wegen der Affäre um die Scheinbesc­häftigung ist Fillons Qualifikat­ion für die Stichwahl nicht mehr sicher.“

Die Finanzstaa­tsanwaltsc­haft hat Vorermittl­ungen gegen den Ex-Regierungs­chef begonnen, der seine Frau als Parlaments­assistenti­n beschäftig­t hatte und sie so rund 500.000 Euro verdienen ließ. Die Justiz muss nun klären, ob Pénélope Fillon tatsächlic­h einen Vollzeitjo­b im Parlament hatte. Fillon, der stets als Saubermann galt, hat für den Fall eines formellen Ermittlung­sverfahren­s schon den Verzicht auf die Präsidents­chaftskand­idatur angekündig­t. Seine Popularitä­t ist mit „Penelopega­te“bereits eingebroch­en: 61 Prozent der Franzosen haben seither eine schlechte Meinung von ihm. Am Sonntag versuchte der 62-Jährige mit einer Großkundge­bung in Paris, den Blick wieder auf den Wahlkampf zu lenken.

In seiner Rede griff Fillon vor allem Macron an, der ähnlich wie er mit einem wirtschaft­sliberalen Programm wirbt. „Macron ist der Prototyp der Eliten, die die Realität unseres Landes nicht kennen“, sagte der Kandidat über den 39-jährigen Ex-Banker, der sich als „weder rechts noch links“versteht. Macron füllt auch in der tiefsten Provinz die Hallen und löst Begeisteru­ng aus.

Als einziger der Kandidaten macht der frühere Wirtschaft­sminister offen Wahlkampf mit Europa und bekennt sich zur Globalisie­rung. Ein Programm, das klar gegen den rechtsextr­emen Front National (FN) gerichtet ist. FN-Chefin Marine Le Pen führt mit rund 25 Prozent die Umfragen für die erste Runde der Wahl an. Aber der Wahlkampf hat gerade erst begonnen.

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FOTO: ACTION PRESS Benoît Hamon (49) nach seinem Vorwahlsie­g am Sonntag.

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