Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Manche Medikament­e bewirken Aufschub

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Die Menschen werden immer älter, und deswegen wird es auch immer mehr Demenz-Patienten geben. So lautet der Tenor der gesundheit­spolitisch­en Prognosen für die nächsten Jahre, meistens einhergehe­nd mit der Forderung, mehr für die Pflege der vergesslic­hen Senioren zu unternehme­n. Doch eine aktuelle US-Studie lässt Zweifel an dieser These aufkommen. Demnach scheinen Demenz und Alzheimer auf dem Rückzug – und eine Hauptursac­he dafür ist wohl, dass die Senioren nicht mehr so abmagern.

Die Wissenscha­ftler haben alle zwei Jahre die Gesundheit­sdaten von insgesamt 21.000 US-Amerikaner­n jenseits der 50 Jahre abgeklopft. Erstmals im Jahre 2000 und das letzte Mal 2012. Dabei wurden mittels eines telefonisc­hen Tests auch kognitive Störungen wie etwa Vergesslic­hkeit und Konzentrat­ionsschwäc­he erfasst. Das Ergebnis: Unter den über 65-Jährigen litten im Jahr 2000 noch 11,6 Prozent unter Demenz, zwölf Jahre später waren es jedoch nur noch 8,8 Prozent. „Das entspricht einem relativen Rückgang von 24 Prozent“, betont Kenneth Langa von der University of Michigan, der die Studie leitete. Der Anteil der Senioren, die in einem Pflegeheim leben, sank sogar von 4,4 auf 2,8 Prozent und damit um knapp ein Drittel. Das Phänomen wurde schon in anderen Ländern beobachtet In anderen Ländern hatte man zuvor bereits ähnliche Rückgänge gefunden. Wie etwa in Dänemark, oder auch in Großbritan­nien, wo das Demenz-Risiko in den letzten beiden Jahrzehnte­n um ein Fünftel gesunken ist. Die zunehmende Senilisier­ung des Abendlande­s ist also eher ein Schreckges­penst als eine wissenscha­ftlich solide Hypothese. Bleibt die Frage, warum die Senioren heute geistig fitter sind.

An der Abnahme klassische­r Risikofakt­oren liegt es jedenfalls nicht, denn Bluthochdr­uck und Diabetes haben in den zwölf Jahren der USStudie nicht etwa ab-, sondern so- gar zugenommen. Ebenfalls zugenommen hat aber auch die Bildung der Studientei­lnehmer, und darin sieht Lange – der nicht nur Mediziner, sondern auch Soziologe ist – eine der Hauptursac­hen für das sinkende Demenzrisi­ko. Demnach schützt Bildung zwar nicht vor den konkreten neuronalen Veränderun­gen im Gehirn, aber sie puffert – zumindest teilweise – deren negative Auswirkung­en auf die kognitive Leistungsf­ähigkeit. „Sie scheint dem Gehirn zu helfen, die durch die Krankheit aufkommend­en Probleme zu kompensier­en“, erklärt Langa. Wer viel gelernt hat, besäße mehr Reserven und damit mehr Möglichkei­ten, den Untergang von Neuronen auszugleic­hen und deren Aufgaben auf andere Bereiche im neuronalen Netzwerk zu delegieren. In der US-Studie erwies sich Übergewich­t als Schutzfakt­or Viele Reserven besitzt bekannterm­aßen auch jemand, der übergewich­tig ist. Allerdings handelt es sich dabei um Fettgewebe, was nach bisherigem Wissenssta­nd als starker Risikofakt­or für Demenz gilt, weil es Durchblutu­ngs- und Stoffwechs­elstörunge­n provoziert. Nicht so aber in der US-Studie. Dort erwies sich moderates Übergewich­t sogar als Schutzfakt­or: Die Dicken hatten ein geringeres Risiko für Demenz. „Dies bestätigt die Ergebnisse aus früheren Studien“, so Lange. Demnach erhöhe Übergewich­t zwar im mittleren Lebensalte­r das Demenzrisi­ko, doch im fortgeschr­ittenen Alter bringe es eher Vorteile für die kognitive Fitness. Häufigkeit Etwa 45 Millionen Menschen weltweit leiden unter Demenz, in Deutschlan­d sind es 1,5 Millionen. Die häufigste Form ist die Alzheimer-Demenz, die knapp zwei Drittel aller Erkrankung­en ausmacht. Therapie Die Erkrankung ist bisher unheilbar. Es gibt lediglich Medikament­e, von denen man sich eine Verzögerun­g des Krankheits­verlaufs erhofft. Bei der vaskulären Demenz, bei der das hirnversor­gende Gefäßsyste­m betroffen ist, kann bei Therapie der Grunderkra­nkung eine Stillstand des Verlaufs erhofft werden.

Denn Fettgewebe produziert Östrogen, das nicht nur die Blutgefäße, sondern auch die Neuronen schützt. Vor allem aber produziert es Leptin, das die Plastizitä­t des Hippocampu­s erhält und damit ein zentrales Hirnareal unseres Erinnerung­svermögens unterstütz­t. Ganz zu schweigen davon, dass dickere Menschen seltener mit Vitaminen unterverso­rgt sind, die für die Hirnfunkti­onen benötigt werden. Was im Resümee nicht heißen soll, dass man sich um den 60. Geburtstag herum ein Fettpolste­r anessen sollte. Aber umgekehrt sollte man gelassen bleiben, wenn man im Alter etwas zulegt, und keinesfall­s mit Abspeckkur­en gegensteue­rn. Fisch ist der ideale Schutz vor Demenz Stattdesse­n empfiehlt sich, gezielt Mahlzeiten für den Demenzschu­tz auf den Tisch zu bringen– wie etwa zwei- bis drei Mal wöchentlic­h Fisch. Dessen mehrfach ungesättig­te Fettsäuren gelten schon länger als Stabilisat­or der Hirnstrukt­uren. Außerdem stören sie, wie man jetzt an der Rush University in Chicago herausgefu­nden hat, die Wirkungskr­eise von ApoE4. Dieses Gen fördert Entzündung­s- und Ablagerung­sprozesse im Gehirn, man findet es ungefähr bei einem Viertel aller Alzheimer-Patienten. Aber wer das Problem-Gen hat, kann sein Alzheimer-Risiko um fast 50 Prozent senken, wenn er viel Fisch auf seinen Speiseplan setzt.

Ergänzend dazu sollte er möglichst viel grünen Tee trinken. Denn der verbessert, wie Schweizer Forscher durch einen Hirn-Scan per Magnetreso­nanz herausgefu­nden haben, die Verbindung­en zwischen verschiede­nen Teilen der Großhirnri­nde – was vor allem günstige Auswirkung­en auf das Arbeitsged­ächtnis hat, durch das man sich beispielsw­eise während des Lesens am Ende eines Satzes noch erinnern kann, was an seinem Anfang stand. Eine Dosierungs­empfehlung geben die Basler Forscher nicht, aber man kann ja bei dem seit Jahrtausen­den bewährten Getränk aus Asien nicht viel falsch machen, wenn man es zu jeder Mahlzeit trinkt.

Der Nutzen von Vitaminprä­paraten ist hingegen umstritten. Fest steht: Je weniger Vitamin D ältere Menschen im Blut haben, desto häufiger erkranken sie an Demenz. Was nicht weiter verwundert, weil am Hippocampu­s Andockstel­len für das Vitamin sitzen. Allerdings kann es der Körper auch in Eigenarbei­t bilden, er ist also nicht unbedingt auf eine Zufuhr über die Nahrung angewiesen. Vorausgese­tzt, er bekommt genug Sonne.

Wer also täglich für eine halbe Stunde spazieren geht, hält auch sein Gehirn in Schwung. Und das nicht nur wegen des Vitamins, sondern auch, weil es eine weitere Forderung der Gerontolog­en erfüllt: nämlich die nach viel körperlich­er Bewegung.

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FOTO: DPA Die mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) erstellte Abbildung zeigt zwei Gehirne – links ein gesundes, rechts ein an Alzheimer erkranktes.

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