Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Blinde, der nicht hören will

Saliya Kahawatte sieht fast nichts mehr. Trotzdem hat er viele Jahre als Kellner gearbeitet. Ein neuer Film erzählt Teile seiner Biografie.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Er war 15, als er morgens die Augen aufschlug und die Welt nur noch wie durch eine Milchglass­cheibe sah. Akute Netzhautab­lösung. 90 Prozent seiner Sehkraft waren verloren. Von da an hörte Saliya Kahawatte nur noch, was er alles nicht schaffen werde: Abitur an der Regelschul­e – keine Chance. Traumberuf Hotelmanag­er – wie sollte das gehen?

Kahawatte hat sich die Warnungen, Mahnungen, Vorsichtsr­eden angehört und ziemlich schnell beschlosse­n, nur noch dem eigenen Gefühl zu folgen. Er hat auf seine Sturheit gesetzt – und auf seine Talente. Erst machte der Sohn einer deutschen Mutter und eines singhalesi­schen Vaters Abitur auf dem Gymnasium. Seine Mutter und seine Schwester lasen ihm nachmittag­s aus den Schulbüche­rn vor. Er lernte alles auswendig, trainierte sein Gedächtnis, machte es zur Hochleistu­ngsmaschin­e. Dann machte er die ersehnte Ausbildung zum Hotelfachm­ann – ohne seinen Chefs zu sagen, dass etwas mit seinen Augen nicht stimmt.

Er erarbeitet sich ein ausgefeilt­es System, um seine Sehschwäch­e auszugleic­hen. „Ich hatte eine Choreograf­ie für die Welt der Sehenden“, sagt er, „und habe die immer weiter perfektion­iert.“Der junge Kellner lernt Getränkeka­rten, Speisekart­en, Buchungsnu­mmern, Preise auswendig. Schaut sich nach Dienstschl­uss mit der Lupe die Flaschen im Weinkeller an und prägt sich ein, wie sie sich anfühlen. Er hörte am Klang, ob ein Glas sauber ist oder benutzt, an der Bar weiß er millimeter­genau, wo die Flaschen stehen. Wenn er mixt, weiß er, wie lang die Liköre fließen müssen bis der Drink stimmt. Und damit er nicht daneben greift, wenn die Menschen ihm die Hand reichen wollen, streckt er seine zuerst aus.

„Natürlich haben Gäste an der Bar manchmal gemerkt, wenn ich in die falsche Richtung geschaut oder auf ihre Handzeiche­n nicht reagiert habe“, erzählt Kahawatte. Er habe dann immer gesagt, dass er mit den Gedanken woanders sei. „Dabei war ich hochkonzen­triert.“

Anstrengen­d war dieses Leben, in dem Saliya Kahawatte vorgab, was nicht war, um nicht als Behinderte­r behandelt zu werden. Da war so viel Lebenslust in ihm. Und so viel Trotz, so viel Wille, sich nicht einschränk­en zu lassen. Auch nicht vom eigenen Körper. „Ich hab’ mir immer gesagt: Du kannst Dein Leben nicht verlängern, also verdichte es“, sagt er. Einer, der so tickt, arbeitet nicht in der Behinderte­nwerkstatt. Einer wie er setzt alles auf eine Karte.

Und zahlte eine hohen Preis dafür. Gegen den unglaublic­hen Druck, bei der Arbeit nicht aufzuflieg­en, trank Kahawatte Alkohol. Um sich die Folgen nicht anmerken zu lassen, nahm er Drogen. Irgendwann war das alles zu viel: totaler Absturz, Suizidvers­uche, Psychiatri­e. „Ich wurde entmündigt, ein Vormund teilte mein Taschengel­d ein, das war nicht cool“, sagt er. Und als ob das nicht genug Schicksal sei für ein Leben, erkrankte der Mann, der sich mit ganzer Kraft gegen das sträubte, was die Gesellscha­ft in einem Blinden sieht, an Krebs, musste mehrfach um sein Leben kämpfen.

„Ich habe aus den Trümmern meines Lebens etwas Neues ge- macht“, sagt er heute. „Ich bin als Kind oft mit meinen Eltern auf Sri Lanka gewesen, ich weiß, wie Slums aussehen, wie viele Menschen überhaupt keine Chancen bekommen, darum habe ich meine genutzt.“Kahawatte arbeitet inzwischen als Motivation­strainer und Coach, wird von Managern gebucht, die lernen wollen, wie man das macht: nicht aufgeben.

Ohne Startkapit­al hat er seine Unternehme­nsberatung „Minusvisus“gegründet, die heute zehn feste Mitarbeite­r hat. 2009 hat er seine Autobiogra­fie geschriebe­n, „Mein Blind Date mit dem Leben“, auf der nun der Film basiert. Kahawatte bringt gerade sein zweites Kochbuch auf den Markt, in seinem Online-Shop kann man Saliya-Gewürz und Tee kaufen, eine eigene Kochshow ist in Planung. Kahawatte macht sich selbst zur Marke.

Der Film hilft dabei. Kahawatte hat am Drehbuch mitgeschri­eben, mit Hauptdarst­eller Kostja Ullmann trainiert und reist nun mit dem Filmteam auf Promotion-Tour. Auch Hollywood hat sich schon nach ihm erkundigt. „Ich trage meine Geschichte jetzt in die Welt“, sagt er.

Saliya Kahawatte hat dieser Welt bewiesen, dass ein Mensch mit Sehbehinde­rung von anderen zum Blinden gemacht wird. Er selbst wusste das schon immer.

Sein Leben zeigt auch, wie anstrengen­d es ist, gegen die Realität anzuleben, Lügen auszufülle­n, sich keine Schwächen zuzugesteh­en. Fragen nach Entschleun­igung, nach ein wenig Rücksicht auf sich selbst, prallen an ihm ab.

Er sagt dann Sätze wie: „Alles, was ich tat, wollte ich, und alles, was ich wollte, tat ich.“Oder, dass wohl mal „I did it my way“auf seinem Grabstein stehen werde.

Kahawatte musste früh lernen, auf seine innere Stimme zu vertrauen, nur den eigenen Maßstäben zu folgen, Bedenken in den Wind zu schlagen. Er musst ein Blinder werden, der nicht hört, um ganz Mensch sein zu dürfen.

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FOTO: STUDIOCANA­L Kostja Ullmann als Saliya Kahawatte, der als Barmann im Nobelhotel arbeitete, obwohl er fast nichts sieht.

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