Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wider die Müdigkeit
Als die Deutschen vor fast zwei Jahrzehnten durch die Pisa-Studie erfuhren, dass ihren Kindern in der Schule weniger beigebracht wird als deren Altersgenossen in den meisten anderen Ländern, ging ein Aufschrei durchs Land. Zu Recht. Zumal sich hier laut Studie auch noch die soziale Herkunft stärker auf die Leistungen auswirkte als fast überall sonst in der Welt.
Die aus diesem Pisa-Schock entstandene Welle der Empörung mündete in eine Welle der Reformen, die viel Gutes bewirkt, aber offensichtlich auch müde gemacht hat. Denn nach zunächst deutlichen Leistungsverbesserungen unmittelbar nach Pisa lagen deutsche Schüler in Mathematik zuletzt unter OECDDurchschnitt. Vor allem die Begabten stagnieren in ihrem Können. „Die starken Schüler“, heißt es in der auf naturwissenschaftliches Wissen ausgerichteten TIMMS-Studie, „geraten aus dem Blick.“Beim Anteil der Spitzenschüler erreicht Deutschland den 25. Platz unter den 48 teilnehmenden Staaten.
Empört hat das niemanden. Das allein ist kaum bedauernswert, wenn denn nicht die Bildungspolitik in Deutschland ohne öffentlichen Aufschrei immer ein wenig einzuschlafen drohte. Zwar ist es bequem, sich mit dem Mittelmaß zufriedenzugeben, aber es ist falsch. Bestmögliche Bildung für alle sollte als individuelles Grundrecht ebenso gelten wie als wichtige nationale Aufgabe.
Zugegeben: Das schwächere Drittel der Schüler ans Mittelmaß heranzuführen, kostet Kraft, und hier hat die Bildungspolitik durchaus Erfolge zu verzeichnen. Aber das darf nicht zu dem Preis geschehen, die Starken nicht mehr angemessen zu fördern. Gute Bildungspolitik muss beide Ziele verfolgen: niemanden zurücklassen und jeden zu Spitzenleistungen animieren.
Diese beiden Ziele müssen mittlerweile oftmals in ein und derselben Klas- se verwirklicht werden. Die Spreizung innerhalb der einzelnen Klasse ist gewachsen, durch Migration, Inklusion, Gesamtschulen und den Zulauf der Gymnasien. Kein Problem, solange die Lehrer und die Schulen dafür fit gemacht würden, mit dieser Vielfalt umzugehen. Genau das aber passiert nicht.
Zwei Beispiele mögen das illustrieren. Erstens: Die Lehrerausbildung an den Universitäten und die Fortbildung der Lehrer, die bereits im Schuldienst sind, reagieren viel zu langsam auf die Veränderungen im Schulalltag. Wo bleiben Initiativen für eine Lern- und Unterrichtskultur, die unterschiedliche Begabungen und Talente gezielter zur Entfaltung bringt und Schülern wie Lehrern wechselseitig Freude am lebenslangen Lernen vermittelt?
Bund und Länder loben im jüngsten Bundesbildungsbericht, dass Lehrer in Deutschland zu den am besten bezahlten Lehrkräften der Welt zählen. Dies sei ihnen gegönnt. Aber wo bleiben attraktive Weiterbildungsangebote, landesweite Konzepte und – nach dem Vorbild der Ärzte – die Verpflichtung zur Teilnahme? Kein Unternehmen leistet es sich, so wenig Geld in die Fortbildung seiner Führungskräfte zu investieren wie im Landeshaushalt zur Lehrerfortbildung eingestellt ist.
Zweitens: Wenn individuelle Förderung das Zauberwort einer modernen Pädagogik für heterogene Klassen ist, wieso verschlafen Deutschlands Schulen die Chancen der Digitalisierung? Die eingangs erwähnte TIMMS-Studie förderte zutage: In keinem ande- Er ist das liberale Gewissen unter den Kolumnisten und kennt die Hochschulund Forschungslandschaft wie kein anderer. Sein Blick richtet sich auf die Innovationsfähigkeit von NordrheinWestfalen. nen, ihn zum Leitbild des Karnevals zu küren, als Gysi im Herbst 1989 als neuer SED-Chef den Umbau von Staat und Partei mit in die Hand nahm. Wie intensiv sein Umgang mit der Stasi war, ist über Jahrzehnte Anlass für politischen Streit und juristische Verfahren gewesen. Gysi zog seine Linie durch, dass der Nachweis, er habe als „IM Notar“gespitzelt, sich nicht beweisen lasse, weil es niemals so gewesen sei. Bürgerliche Kapitalismusfreunde hielten die Vorwürfe nie davon ab, ihn als ihren Lieblingssozialisten in Beschlag zu nehmen, so oft er sich auf Podien präsentierte. Gysi ist eine „Rampensau“mit herausragendem rhetorischen Talent, das er in zahlreichen erstklassigen Bundestagsreden und mindestens so vielen Talkshows bewies. Dass die Linke nicht ausstarb, sondern nun ernsthaft als Teil einer möglichen rot-rot-grünen Regierung gehandelt wird, ist auch sein Verdienst. Für ihn war, ist und bleibt ein solches Machtbündnis „historisch notwendig“. Und dann will er das aus der Nähe erleben: Er hat sich entschieden, im Herbst erneut für den Bundestag zu kandidieren. Stolz ist er noch heute, im Abitur sportlich die „Rolle rückwärts in den Handstand“absolviert zu haben. Das wird er mit 68 Jahren in Aachen als Ritter rhetorisch garantiert wieder hinkriegen. Tierisch gut und mit ironischem Ernst. Gregor Mayntz