Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die wunderbare Leichtigkeit des Donauwalzers
Beliebt sogar in den Anden: Vor 150 Jahren komponierte Johann Strauß (Sohn) eines der berühmtesten Stücke der Musikgeschichte.
Es trug sich zu in Südamerika, irgendwann in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts. Er sei dort, berichtet der 2003 verstorbene Dirigent und Musikschriftsteller Kurt Pahlen, in einem Bergdorf der Anden auf einen Indio gestoßen, der auf einer selbstgezimmerten Fidel zum Tanz aufspielte. „Und plötzlich klang, mitten zwischen heimischen Melodien, das mir so ans wienerische Herz gewachsene Dreiklangsmotiv der Blauen Donau auf. Herrgott no’ amol, da kriegt man wirklich Tränen in die Augen . . .“
Ein Dreiklang, der Geschichte machte. Und Identität stiftete. In seiner Rührung über dieses wohl berühmteste aller Walzermotive ist Kurt Pahlen, der auch eine Biographie über den Komponisten – Johann Strauß – schrieb, nicht allein geblieben. Bis zum heutigen Tag. Der Donauwalzer, wie Strauß’ Opus 314, uraufgeführt am 15. Februar vor 150 Jahren, in Österreich schlicht heißt, darf getrost als immaterielles Kulturerbe bezeichnet werden. Die heimliche Nationalhymne der Alpenrepublik, das Musikstück, das der Österreichische Rundfunk zum Jahreswechsel aus- strahlt: Dazu passt die Einschätzung des berühmten Wiener Musikkritikers Eduard Hanslick aus dem Jahr 1874, der Walzer „An der schönen blauen Donau“sei eine „wortlose Friedens-Marseillaise“.
Dabei trifft das nur auf die eine, die orchestrale Variante des Walzers zu. Die andere mit Chor hatte den Impuls für die Entstehung des Walzers gegeben. Da war der renommierte Wiener Männergesangsverein, der in Gestalt seines Dirigenten, des tüchtigen späteren Hofkapellmeisters Johann Herbeck, an den noch weit renommierteren Walzerkönig Strauß herantrat und um einen Chorwalzer für sein Vereinsfest nachsuchte. Das war 1865. Strauß hatte zu diesem Zeitpunkt keinen Kontakt mit Textvertonungen, seine erste Operette „Indigo und die 40 Räuber“sollte erst 1871 zur Uraufführung gelangen. Strauß lehnte aus gesundheitlichen Gründen ab, sagte aber für die Liedertafel in der Faschingssaison 1867 einen Konzertwalzer zu.
Dazwischen lag das Jahr 1866: der preußisch-österreichische Krieg, die Schlacht bei Königgrätz, Habsburgs vernichtende Niederlage. Der Kampf um die Vormachtstellung in Europa war verloren. Keine guten Vorzeichen für die Faschingssaison 1867. Viele Bälle und Veranstaltungen wurden abgesagt – im tanzwütigen Wien eine weitere Kapitulationserklärung. Die Liedertafel aber fand statt, Programmpunkt sechs: „An der schönen blauen Donau. Walzer für Chor und Orchester von Joh. Strauß, k.k. Hofballmusik-Direktor, dem Wiener Männergesangsvereine gewidmet. Text von Weyl (Neu)“.
Die Frage des Titels hat die Musikforschung seither beschäftigt. Of- fenbar existierte der nämlich noch zwei Wochen vor der Uraufführung nicht. Aber Strauß muss das Gedicht „An der Donau“(1844) des deutschsprachigen ungarischen Vormärzliteraten Karl Beck gekannt haben mit seinem Kehrreim „An der Donau, an der schönen blauen Donau“. Vereinsdichter Josef Weyl jedoch dichtete in Dialogform, etwas ganz anderes: „Wiener seid froh / oho wieso ... ein Schimmer des Lichts / wir sehn noch nichts / Ei! Fasching ist da / ah so, na ja . . .“Ver- se von bescheidenem Inhalt, die allenfalls auf die Gemütssituation der Wiener damals schließen lassen.
Der Walzer hatte Erfolg. Trotzdem. Und das liegt auch nicht an den 1889 dem Titel mehr angepassten Text „Donau, so blau / durch Thal und Au“. Es liegt allein an Straußens Komposition. Das leise hohe Tremolo der Violinen im Vorspiel, in das sich im Wechselspiel der Soloinstrumente aufsteigende Dreiklänge und Dreiklangsmodulationen legen – es gibt dem Walzer von Anfang an die Gestalt einer Tondichtung. Ohne sinfonisches Programm. Strauß deutet damit das erste große und berühmte Walzerthema schon an. Das Besondere daran ist nicht der im Prinzip simple D-Dur-Dreiklang. Sondern die Linienführung, die Strauß aus ihm entwickelt. In seinen Wellen verschwimme der Takt, schreibt die Musikologin Helga de la Motte-Haber über den Donauwalzer, und Strauß-Biograf Ernst Decsey begründete schon in den 1920er Jahren, die „Verführung dieses Stücks“liege in seiner „Einfachheit“.
Und die hat etwas Genialisches. Man kann den Donauwalzer einfach tanzen, vorausgesetzt, man versteht mit den Rubati, den Verzö- gerungen und Beschleunigungen in den Drehungen umzugehen. Oder man kann ihn sinfonisch genießen (wie alljährlich bei den Wiener Neujahrskonzerten). In den ersten Akkord der Introduktion applaudiert dort das Publikum hinein. Ein Ritual, gewiss. Hinter dem jedoch eine Art Erlösungsgedanke steckt: Über all die hässlichen, zum Teil grausamen Zeiten hinweg blieb „An der schönen blauen Donau“stets ein Symbol. So wie Ernst Decsey es formulierte: „Österreich als klingende Idee“.
Die „klingende Idee“war darob womöglich der erste Schlager der Welt. Die Popularität des Donauwalzers kennt nicht einmal kulturelle Grenzen: Le beau Danube, The blue Danube wurde zur Marke für ein Stück heile, intakte Welt, millionenfach gespielt, verkauft, in allen denkbaren Arrangements. Stanley Kubrick ließ zu diesen Klängen in seinem Filmklassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ein Raumschiff im All gleiten: Johann Strauß, der Schwerelose.
Und die Nachrichtensendung „Zeit im Bild“des Österreichischen Rundfunks hat das berühmte Thema in ihrer Titelmelodie – Johann Strauß, der stets Aktuelle.