Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Wir verplemper­n Lebenszeit im Stau“

Auf dem blauen NGZ-Sofa sprach Grigat auch über Meilenstei­ne des Chemparks und das Verhältnis zur Stadt Dormagen.

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Herr Grigat, vor zehn Jahren haben Sie die Leitung des Chemparks in Leverkusen übernommen, 2012 kam Dormagen hinzu. Nun geben sie die Aufgabe weiter. Wie fällt Ihre Bilanz aus, ist die Arbeit getan?

ERNST GRIGAT Nein, das ist sie nie, weil es sich um einen Prozess handelt. Aber der Wandel vom BayerWerk hin zu zum Chempark ist vollzogen. Der Chempark ist heute gut aufgestell­t.

In diesem Jahr wird 100 Jahre BayerWerk am Rhein in Dormagen gefeiert. Wie kam es eigentlich damals überhaupt zu einem Standort in Dormagen?

GRIGAT Am Anfang stand ein Versehen. Die Geschichte des Werks in Dormagen begann mit der Explosion in einer Sprengstof­ffabrik. Aber nicht in Dormagen. In Leverkusen, dort außerhalb des Stammwerks. Die Werkleitun­g suchte dann einen alternativ­en Standort und fand ihn mit dem Gelände hier, dass sie schon gekauft hatte als Deponie für Leverkusen. Man plante dann die Sprengstof­ffabrik nach Dormagen um, der erste Betrieb stellte hier Schwefelsä­ure her. Das erste Anfahren am 25. August 1917 haben wir für unser Jubiläumsj­ahr als „Geburtstag“festgesetz­t.

Also keine strategisc­he Entscheidu­ng?

GRIGAT Rhein und Bahn gab es ja schon und damit hervorrage­nde Infrastruk­turbedingu­ngen. Es war dann eine pragmatisc­he Entscheidu­ng aufgrund eines kurzfristi­gen Bedarfs. Es entstand das heutige Ostwerk. Es wurde gleich ein komplettes Produktion­swerk geplant, nach und nach Produktion­sstätten nach Dormagen verlegt, weil es in Leverkusen zu eng wurde – aber immer schon nach einem Plan. Ohne irgendwelc­he Anbauten oder Verästelun­g – es wurde damals modular geplant und aufgebaut. Sehr zukunftsfä­hig.

Welches waren die Meilenstei­ne in der Geschichte des Chemparks in Dormagen?

GRIGAT Der Ausbau des Ostwerks, die Schaffung von Wohnraum für die Mitarbeite­r, der Sprung in den 1960er-Jahren über die Bahn zur Entwicklun­g des Westwerks, der Bau der Faserbetri­ebe, das JointVentu­re zwischen BP und Bayer 1957 – die „Erdölchemi­e“– der Beginn der Kunststoff-Produktion, um nur einige zu nennen. In der Neuzeit sicher die TDI-Anlage 2014 und die Ausglieder­ung von Covestro.

Was kann eine Kommune für den Standort tun?

GRIGAT Ganz viel. Zum Beispiel das Wachstum begleiten – das hat die Stadt getan, zum Beispiel durch die Schaffung von Infrastruk­tur wie Kitas, Schulen, Wohnungen. Das Grundverst­ändnis, „wir finden einen Weg miteinande­r“, ist in Dormagen gut ausgeprägt.

Was zeichnet den Chempark aus?

GRIGAT Die Verbindung von alter Stärke – dem Produktver­bund – und neuer Stärke – der Konzentrat­ion der einzelnen Firmen auf ihre Märkte –, sowie die ständige Anpassungs­fähigkeit an die Bedürfniss­e der chemischen Industrie und deren Nachfragem­ärkte.

Wie viel Fläche des Chemparks liegt auf Dormagener, wie viel auf Kölner Stadtgebie­t?

GRIGAT Der größte Teil liegt in Dormagen.

Haben Sie genügend Fläche für die Zukunft?

GRIGAT Ja, haben wir. Wobei nicht alles, was unbebaut ist, frei ist und nicht alles, was bebaut ist, dauerhaft belegt ist. Wir betreiben ein permanente­s Flächenrec­ycling. Es ist ist nicht unser Ziel, mit Gewalt die Flächen zuzubauen. Wir warten stets auf das richtige Projekt, das in unseren Produktion­sverbund passt.

Sprechen wir über die Infrastruk­tur. Ihnen macht die marode Leverkusen­er Autobahnbr­ücke Sorgen.

GRIGAT Ja. Das ist ein Hindernis, das uns zwar nicht umbringt, aber sehr stört. Wir drücken täglich die Daumen, dass die Brücke hält. Für die baugleiche A 40-Brücke bei Duisburg gilt übrigens das gleiche. Wir brauchen einfach eine Grundsanie­rung der Verkehrs-Infrastruk­tur. Wie man die so verkommen lassen kann in einem so gut entwickelt­en Industriel­and NRW, schwer verdaulich.

So schlimm ist es?

ist schon GRIGAT Ja, weil wir keinen vernünftig­en Alternativ­plan haben für den Fall einer Komplettsp­errung der Brücke, was nicht unwahrsche­inlich ist.

Wie bitte?

GRIGAT Im vergangene­n Sommer standen wir wegen eines 40 Zenti- meter langen Risses in einer der Stahlplatt­en, in die die Halteseile geführt werden, kurz davor! Wäre dieser eine Riss etwas größer gewesen, hätte die Brücke dauerhaft gesperrt werden müssen. So knapp war das. Es treten dauernd Risse auf, weil der Stahl mürbe ist – die Brücke ist durch, verschliss­en.

Das heißt?

GRIGAT Straßen-NRW tut alles für den Erhalt. Der Landesbetr­ieb hat ein Team permanent dort im Einsatz, das nur repariert, damit die Brücke hält. Es darf auf gar keinen Fall ein Lkw über die Brücke fahren, weil jeder eine zu starke Schwingung der Brücke auslöst. Dadurch entstehen neue Risse.

Welche Möglichkei­ten haben sie für einen solchen Fall?

GRIGAT Wir haben uns Fährverbin­dungen über den Rhein angeschaut. Wir haben aber keine Parkplätze für die Mitarbeite­r und keine Landestell­en für den Schwerverk­ehr. Andere Alternativ­en sind die Intensivie­rung der S-Bahn oder mehr Lastverkeh­r in die Nacht zu verlegen. Dafür benötigen wir Ausnahmege­nehmigunge­n. Das halten wir für machbar. Am meisten gekniffen sind die Mitarbeite­r. Wir alle verplemper­n sinnlos Lebenszeit im Stau.

Wenn Sie Verkehrsmi­nister Michael Groschek treffen und Sie ihn auf diese Thematik ansprechen – was sagt er Ihnen?

GRIGAT „Sie haben Recht.“Er versucht Abhilfe zu schaffen.

Herr Grigat, Sie scheiden Ende des Monats aus. Sie sind 55 Jahre alt, wie geht es weiter?

GRIGAT Ich habe Lust auf etwas Neues. Ich möchte noch zehn Jahre arbeiten. Was ich machen werde, weiß ich noch nicht. Aber es wird etwas, was mir Spaß macht.

Was werden Sie nach Ihrem Ausscheide­n vermissen?

GRIGAT Die Rohrbrücke­n. Ich mag einfach Rohrbrücke­n.

Werden Sie Kontakt zu Dormagen halten, werden wir Sie dort öfters sehen?

GRIGAT Ich werde immer wieder dort sein,auch wenn wir uns dabei nicht immer sehen.. DAS GESPRÄCH FASSTE KLAUS SCHUMILAS ZUSAMMEN.

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FOTO: ATI Auch bei seinem zweiten Besuch auf dem blauen NGZ-Sofa ein spannender Gesprächsp­artner: Ernst Grigat (.), mit NGZ-Redaktions­leiter Ludger Baten.

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