Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

NRW:MehrWohnun­gen an S-Bahn-Strecken

Heimat- und Bauministe­rin Ina Scharrenba­ch will ländliche Regionen attraktive­r machen und so der Landflucht entgegenwi­rken. Doch Wirtschaft­sforscher warnen vor Neubauten in der Provinz.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die neue schwarz-gelbe Landesregi­erung will den ländlichen Raum besser an den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) anbinden. „Dazu wollen wir neue Flächen an ÖPNV-Achsen zur Bebauung freigeben“, sagte Ina Scharrenba­ch, CDU-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstel­lung, im Interview mit unserer Redaktion. Auf diese Weise werde der ländliche Raum attraktive­r. Möglich werde dies, indem über den Landesentw­icklungspl­an neue Baugebiete freigegebe­n würden.

Die zusätzlich­en Wohnungen sollen dazu beitragen, die Landflucht in NRW zu stoppen. Einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung zufolge driftet die Bevölkerun­gsentwickl­ung zwischen Stadt und Land immer weiter auseinande­r: Während ländliche Gebiete zum Teil mehr als 20 Prozent verlieren, legen besonders Städte um mehr als zehn Prozent zu. In Münster und seinem Umland wird demzufolge am erfolgreic­hsten gegen diesen Trend gekämpft. Negativbei­spiele sind Altena im Märkischen Kreis sowie Steinheim und Lügde in Ostwestfal­en. Hier werden laut Studie in 15 Jahren zwischen 16 und 23 Prozent weniger Menschen leben als noch 2012. Besser sieht es hingegen in den Regionen rund um Düsseldorf, Köln und Bonn aus.

Die rot-grüne Landesregi­erung hatte es abgelehnt, Flächen entlang von Verkehrswe­gen freizugebe­n, um „bandartige Siedlungse­ntwicklung­en“zu vermeiden, wie es im Landesentw­icklungspl­an heißt. Befürchtet wurde, dass eine solche Bebauung entlang der Trassen die Landschaft verschande­lt.

Der Städte- und Gemeindebu­nd in Nordrhein-Westfalen äußerte sich positiv zu den Plänen der Ministerin: „Wir begrüßen es, dass die neue Landesregi­erung ländlichen Gemeinden mehr Spielraum bei der Siedlungse­ntwicklung geben will“, sagte Hauptgesch­äftsführer Bernd Jürgen Schneider. Gerade entlang der ÖPNV-Achsen sei dies sinnvoll – auch unter Umweltaspe­kten. Ballungsrä­ume, wo die Versiegelu­ng der Landschaft schon jetzt sehr groß sei, könnten dadurch deutlich entlastet werden. „Dazu muss aber auch der ÖPNV, insbesonde­re der Schienenve­rkehr im ländlichen Raum, ausgebaut werden“, forderte der Interessen­vertreter der Städte und Gemeinden.

Auch der Chef des Verkehrsve­rbunds Rhein-Ruhr (VRR), José Luis Castrillo, begrüßte die Pläne: „Das können wir nur unterstütz­en.“Der VRR ist einer der größten deutschen ÖPNV-Anbieter und könnte mit steigenden Kundenzahl­en rechnen. Verkehrslä­rm-Konflikte befürchtet Castrillo nicht: „Das Schöne an diesem Konzept wäre ja, dass die Leute gerade wegen der besseren Anbindung dorthin ziehen.“

Dagegen haben die großen Immobilien­konzerne dem ländlichen Raum längst den Rücken gekehrt. „Wir konzentrie­ren uns lieber auf wachsende Städte“, heißt es beim Marktführe­r Vonovia. Der Wettbewerb­er LEG hält es ähnlich. „Die Kombinatio­n aus vielen Jugendlich­en, einer vitalen Start-up-Szene, digitaler Infrastruk­tur undUnivers­itäten zieht dauerhaft Menschen an. Das sehen wir auf dem Land nicht“, sagte ein Vonovia-Sprecher.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) warnt in einer aktuellen Studie sogar ausdrückli­ch vor Neubauten auf dem Land. Wegen der schrumpfen­den Bevölkerun­g und bereits leerstehen­der Häuser benötige man vielerorts kaum neue Wohnungen. Gebaut werde trotzdem, kritisiert das IW. Angelockt durch günstigen Baugrund und niedrige Zinsen bauten gerade junge Familien ihre Häuser gern in entlegenen Regionen und riskierten damit einen späteren Preisverfa­ll ihrer Immobilie. Dieses Problem hat nicht nur NRW: Nach einer Schätzung des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung stehen auf dem Land bundesweit knapp eine Million Wohnungen leer. Das IW empfiehlt betroffene­n Kommunen sogar, keine neuen Bauflächen auszuweise­n und den Abriss von alten Häusern zur Bedingung von Neubauten zu machen.

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