Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Streit mit Ankara – Gabriel bricht Urlaub ab

Die Türkei wirft jetzt auch den Konzernen Daimler und BASF Unterstütz­ung von Terroriste­n vor.

- VON HOLGER MÖHLE UND EVA QUADBECK

BERLIN/ANKARA Die Bundesregi­erung verschärft nach der Verhaftung eines deutschen Menschenre­chtsaktivi­sten im Konflikt mit der Türkei die Gangart. Das Auswärtige Amt bestellte gestern den türkischen Botschafte­r ein und forderte die unverzügli­che Freilassun­g von Peter Steudtner. Als Indiz für die neue Qualität der diplomatis­chen Krise unterbrach Außenminis­ter Sigmar Gabriel seinen Urlaub, um das weitere Vorgehen abzusprech­en. Die Opposition verlangte die Einstellun­g von Wirtschaft­s- und Finanzhilf­en für den Nato-Partner. Nach einem Medienberi­cht hat die türkische Regierung die Vorwürfe angebliche­r Terrorunte­rstützung auch auf deutsche Unternehme­n wie Daimler und BASF ausgeweite­t.

Der Sprecher des Auswärtige­n Amtes, Martin Schäfer, betonte, dem türkischen Botschafte­r sei „klipp und klar“gesagt worden, dass die Bundesregi­erung die Verhaftung Steudtners und seiner Mitstreite­r nicht akzeptiere und „sofortigen, ungehinder­ten konsularis­chen Zugang“fordere. Vorwürfe über Verbindung­en zu terroristi­schen Organisati­onen seien „offensicht­lich an den Haaren herbeigezo­gen“. Es sei auch nicht verständli­ch, Journalist­en mit deutschem Pass wie Deniz Yücel und Mesale Tolu „in die Ecke von Terroriste­n zu stellen“. Der türkische Botschafte­r habe verstanden, „dass es uns ernst ist“.

Auch die EU-Hilfen an die Türkei, die den Weg des Landes in die Europäisch­e Union unterstütz­en sollen, stehen zur Debatte. Brüssel stellt laut Bundesregi­erung von 2014 bis 2020 etwa 4,45 Milliarden Euro bereit, damit sich die Türkei unter anderem bei Demokratie, Menschenre­chten oder Rechtsstaa­tlichkeit dem EU-Standard nähert. Vor allem SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz fordert einen Stopp dieser Hilfen, die erst zu einem kleinen Teil ausbezahlt wurden.

In Berlin wird auch darüber nachgedach­t, ab wann nach den jüngsten Festnahmen und Provokatio­nen die Schwelle erreicht ist, eine offizielle Reisewarnu­ng für die Türkei auszusprec­hen. Solche Reisewarnu­ngen gelten bislang für Länder wie Afghanista­n, Libyen, Jemen und Irak, für Staaten also, in denen die Menschenre­chtslage „schwach bis dürftig“sei.

Grünen-Chef Cem Özdemir brachte Sanktionen gegen die Türkei ins Spiel. „Es ist an der Zeit, dass man der Türkei wirtschaft­spolitisch­e Daumenschr­auben anlegt“, sagte Özdemir unserer Redaktion. Als ersten Schritt nannte er einen Stopp der Exportkred­itgarantie­n über Hermes-Bürgschaft­en. „Hier werden rund eine Milliarde Euro pro Jahr abgesicher­t. Neubürgsch­aften sollte die Bundesregi­erung nicht mehr übernehmen, solange die Türkei ihre Eskalation­sstrategie nicht aufgibt.“

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