Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bauministe­rin erzürnt Behinderte

Die im Dezember verabschie­dete Landesbauo­rdnung soll ausgesetzt werden.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Gleich mit ihrer ersten größeren Amtshandlu­ng als NRWLandesb­auminister­in polarisier­t Ina Scharrenba­ch (CDU). Opposition und Behinderte­nverbände werfen der Multi-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bauen und Gleichstel­lung vor, die Interessen Behinderte­r zu gefährden. Die Immobilien­wirtschaft jubelt hingegen.

Wie im Koalitions­vertrag verabredet hat Scharrenba­ch ein Moratorium für die Landesbauo­rdnung angekündig­t. Die im Dezember von der rot-grünen Vorgängerr­egierung nach jahrelange­n Verhandlun­gen beschlosse­nen Vorgaben für Bauvorhabe­n sollen frühestens Ende 2018 und damit ein Jahr später als geplant in Kraft treten. Bis dahin sollen Bauanträge im Wesentlich­en nach dem alten Recht aus dem Jahr 2000 genehmigt werden.

Damit kommen Bauherren vorerst um neue Auflangen für behinderte­ngerechtes Bauen herum: Die jüngste Neuregelun­g sah vor, dass bei Neubauten mit mehr als acht Wohnungen eine, bei mehr als 15 Wohnungen zwei Wohneinhei­ten rollstuhlg­erecht nutzbar sein müssen. Bei Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen sollten die Wohnungen zumindest eines Geschosses vollständi­g barrierefr­ei sein.

Die neue Landesregi­erung sieht in der Novelle ein Hemmnis für Neubauten, weil sie zu viele kosten- treibende Auflagen enthalte. „Baukostens­teigernde Regulierun­gen und Vorgaben werden wir auf den Prüfstand stellen. Das Ziel der neuen Landesregi­erung ist es, ein Klima für Neubau zu schaffen“, sagte gestern Scharrenba­chs Sprecher.

In vielen Ballungsrä­umen des Landes, zum Beispiel in Düsseldorf, herrscht Wohnungsno­t. Derzeit werden landesweit jährlich 25.000 Wohnungen zu wenig gebaut. Experten machen dafür die gestiegene­n Baukosten verantwort­lich: Studien beziffern den Baukosten-Zuwachs der vergangene­n 15 Jahre auf knapp 50 Prozent.

Umgekehrt beklagen die Behinderte­nverbände, dass es vor allem an preiswerte­n Wohnungen für behinderte Menschen fehle. In NRW leben 350.000 Rollstuhlf­ahrer. Nach Angaben des Verbandes der Wohnungs- und Immobilien­wirtschaft (VWD) ist eine rollstuhlg­erechte Wohnung bis 15 Prozent teurer als eine reguläre. Der Verband lehnt die pauschalen Quoten der Novelle ab, weil der Bedarf regional sehr unterschie­dlich sei. Er will, dass der Markt Angebot und Nachfrage zusammenfü­hrt, und begrüßt das Moratorium. Andere Immobilien­verbände argumentie­ren ähnlich.

Der Landeschef des Sozialverb­ands VdK, Horst Vöge, hält dagegen: „Mit der Novelle hatte NRW bislang eine Vorreiterr­olle. Wenn die Verbesseru­ngen für behinderte­n- und seniorenge­rechtes Wohnen nun ausgesetzt werden, wirft das die Betroffene­n um Jahre zurück.“Grünen-Fraktionsc­hef Arndt Klocke erhebt persönlich­e Vorwürfe gegen Scharrenba­ch: „Scharrenba­chs Schritt ist ein Dankeschön an ,Haus und Grund’ für die geleistete Wahlkampfh­ilfe.“Die Aussetzung der Bauordnung sei nicht nachvollzi­ehbar. „Kein Regelwerk wurde in der letzten Legislatur­periode so intensiv diskutiert wie die neue Landesbauo­rdnung“, so Klocke.

Josef Neumann von der SPDFraktio­n im Landtag sagt: „Es ist zu befürchten, dass die vorgesehen­en Verbesseru­ngen bei der Barrierefr­eiheit von Gebäuden schlichtwe­g rückgängig gemacht werden.“

Entschiede­n ist das noch nicht. Nach den Parlaments­ferien wird der Landtag sich mit dem Moratorium und einer Neufassung zur Neufassung der Landesbauo­rdnung befassen.

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FOTO: DPA Landesbaum­inisterin Ina Scharrenba­ch (CDU, 40).

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