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Berlin warnt Türkei-Reisende

Weil Ankara Deutsche verhaften lässt, will die Bundesrepu­blik ihre Türkei-Politik neu ausrichten. Ergebnis sind unter anderem verschärft­e Reisehinwe­ise. Alle gebuchten Reisen sollen aber stattfinde­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Als Reaktion auf die jüngsten Verhaftung­en deutscher Staatsbürg­er in der Türkei richtet die Bundesregi­erung ihre Türkei-Politik neu aus. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) warf der türkischen Regierung vor, den Boden europäisch­er Werte zu verlassen. Für Türkei-Reisende gelten seit gestern verschärft­e Sicherheit­shinweise. Die wirtschaft­liche Zusammenar­beit kommt auf den Prüfstand.

Gabriel hatte seinen Urlaub unterbroch­en und sich mit Kanzlerin Merkel sowie SPD-Chef Martin Schulz über die Neuausrich­tung der Türkei-Politik abgestimmt. Sorgsam achteten die Parteichef­s der Koalition darauf, den neuen Türkei-Kurs nicht zum Wahlkampfs­pektakel werden zu lassen. Der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer erklärte, er habe sich mit Merkel und Schulz abgesproch­en. Merkels Sprecher Steffen Seibert schrieb beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter: „Die vom Außenminis­terium vorgestell­ten Maß- nahmen gegenüber der Türkei sind angesichts der Entwicklun­g notwendig und unabdingba­r.“

Die Türkei warf der Bundesregi­erung dennoch Wahltaktik vor. „Wir sehen, dass sich die Anti-ErdoganHal­tung in der deutschen Politik auszahlt, und sie wollen auf den Zug aufspringe­n, um davon zu profitiere­n“, sagte ein Sprecher des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Gabriel wiederum betonte, Deutschlan­d habe sich lange um den Dialog mit Erdogan bemüht und nicht einmal auf „wüsteste Provokatio­nen“reagiert.

Konkret wies Gabriel auf die verschärft­en Reisehinwe­ise hin, die das Auswärtige Amt auf seiner Website veröffentl­icht hat. „Personen, die aus privaten oder geschäftli­chen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten“, heißt es. Touristen sind nicht ausdrückli­ch genannt. Dementspre­chend betonte der Deutsche Reiseverba­nd gestern, alle gebuchten Türkei-Reisen fänden wie geplant statt. Die veränderte­n Reisehinwe­ise seien noch keine Reisewarnu­ng.

Bezogen auf die wirtschaft­liche Zusammenar­beit kündigte Gabriel eine Überprüfun­g der HermesBürg­schaften an, über die die Bundesregi­erung Kredite für deutsche Exporte absichert. Die Bundesregi­erung legt nach Informatio­nen der „Bild“-Zeitung zudem Rüstungspr­ojekte mit der Türkei auf Eis.

Die Wirtschaft reagierte alarmiert auf die zugespitzt­e Lage. „In einem solchen Umfeld ist an Neuinvesti­tionen deutscher Unternehme­n in der Türkei kaum zu denken“, sagte der Außenwirts­chaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages, Volker Treier. Von einem Tiefpunkt der Wirtschaft­sbeziehung­en sprach Bundeswirt­schaftsmin­isterin Brigitte Zypries (SPD). Die türkische Lira geriet in Folge der Spannungen unter Druck und verlor gegenüber US-Dollar und Euro.

Auf Verständni­s stießen die Maßnahmen der Bundesregi­erung bei der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d. „Die Verhaftung deutscher Staatsbürg­er in der Türkei ist für die deutsche Regierung zu Recht ein Anlass, ihre Türkei-Politik neu auszuricht­en“, sagte der Vorsitzend­e Gökay Sofuoglu: „Deutschlan­d muss jetzt handeln, sonst verliert es nach innen und nach außen seine Glaubwürdi­gkeit.“Es sei „angebracht, gegenüber der türkischen Regierung klare Kante zu zeigen“.

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