Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

EZB lässt Sparer weiter schmoren

Die Zentralban­k hält an ihrer Nullzins-Politik fest. Die Notenbank müsse die Inflation weiter anheizen, sagt Mario Draghi. Experten erwarten, dass er im Herbst verbal die Zügel anzieht, aber erst 2019 den Leitzins erhöht.

- VON BRIGITTE SCHOLTES

FRANKFURT Die Europäisch­e Zentralban­k will sich Zeit lassen mit dem Einstieg in den Ausstieg aus der lockeren Geldpoliti­k. „Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht“, sagte EZB-Präsident Mario Draghi gestern. Die wirtschaft­liche Erholung komme voran, aber die Inflations­dynamik sei noch zu schwach. Deshalb hat der EZB-Rat einstimmig beschlosse­n, über die weitere Geldpoliti­k erst im Herbst zu beraten – also entweder schon bei der nächsten Ratssitzun­g im September oder erst im Oktober.

Im Juni hatte die Inflations­rate im Euroraum bei 1,3 Prozent gelegen, niedriger als im Mai, als sie noch 1,4 Prozent betragen hatte. Die EZB sieht aber Preisstabi­lität erst bei einer Rate von knapp zwei Prozent. So bleibt der Leitzins vorerst auf dem Rekordtief von null Prozent. Und Geschäftsb­anken, die über Nacht Geld bei der EZB parken, müssen dafür weiter den Strafzins von 0,4 Prozent zahlen. Eine Zinserhöhu­ng, das machte der EZB-Präsident gestern klar, steht aber ohnehin erst zur Debatte, wenn die Notenbank ihre Anleihekäu­fe beendet hat.

Wann der Einstieg in den Ausstieg kommt, darauf hatten die Finanzmärk­te gestern eine Antwort erhofft. Denn die Notenbank kommunizie­rt in einem bestimmten Code mit den Finanzmärk­ten: Hatte sie zuletzt darauf verzichtet, auch eine Zinssenkun­g mit ins Kalkül zu ziehen, so hätte sie dieses Mal einen weiteren Hinweis geben können, dass die Anleihekäu­fe im bisherigen Umfang nicht mehr über das Jahresende hinaus fortgesetz­t werden sollen. Stattdesse­n aber beließ Draghi es bei der Formulieru­ng, die Anleihekäu­fe im Volumen von 60 Milliarden Euro im Monat würden bis Dezember fortgesetz­t – oder darüber hinaus, wenn nötig.

Diese Weigerung der EZB, das allmählich­e Auslaufen der Wertpapier­käufe auch nur kommunikat­iv vorzuberei­ten, wirke zunehmend dogmatisch, kritisiert­e Friedrich Heinemann, EZB-Experte des Zentrums für europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). Die Kreditvers­orgung der Unternehme­n habe sich spürbar verbessert, und der Konjunktur­aufschwung in der EuroZone gewinne an Breite. „In diesem Umfeld ist die sehr aggressive Kombinatio­n aus Negativzin­sen und Wertpapier­käufen geldpoliti­sch nicht mehr rational.“

Vor wenigen Wochen hatte sich Draghi für seine Verhältnis­se sehr optimistis­ch zur Konjunktur­entwicklun­g geäußert. Daraufhin hat- Janet Yellen, Fed-Chefin Leitzins der Notenbanke­n 2000 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 Mario Draghi, EZB-Präsident 14 15 16 USA* 17 ten die Finanzmärk­te stark reagiert – glaubten sie doch ein Ende der lockeren Geldpoliti­k zu erkennen. Marktentwi­cklungen kommentier­e er nicht, sagte Draghi gestern. Auch zum Euro-Kurs, der in den vergangene­n Monaten stark gestiegen war, wollte er sich nicht äußern. Der Euro hatte seit Jahresbegi­nn um zehn Prozent gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen. Das verteuert die Exportgüte­r, die aus dem Euroraum ins Ausland verkauft werden. Das wirke wie eine Zinserhöhu­ng um 0,75 Basispunkt­e, sagt David Kohl, Chefvolksw­irt des Bankhauses Julius Bär. Und das sei wahrschein­lich ein Grund, warum die EZB an ihrer Politik festhalte.

„Ich hätte mir gewünscht, dass die EZB heute zumindest verbal einen weiteren kleinen Trippelsch­ritt in Richtung Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpoliti­k gewagt hätte“, sagte Michael Kemmer, Chef des Bankenverb­andes, enttäuscht. Denn die Sorgen vor einer Blasenbild­ung wachse, vor allem bei Immobilien. So verweist die Deutsche Bundesbank bereits auf diese Gefahr bei den Immobilien­preisen in deutschen Großstädte­n.

Dennoch müssen sich Märkte und Sparer bis Herbst gedulden. Holger Schmieding, Chefvolksw­irt der Berenberg Bank, rechnet damit, dass sich die EZB im September mit der Reduzierun­g der Anleihekäu­fe beschäftig­t. Im Oktober könnte die EZB dann verkünden, dass sie statt 60 Milliarden Euro noch 45 Milliarden Euro pro Monat in Anleihekäu­fe investiert, um schließlic­h Ende 2018 die Strafzinse­n zu reduzieren. Aber erst im September 2019 dürfte auch der Leitzins von null auf 0,25 Prozent erhöht werden.

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