Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fusseberg Kickers – aus Liebe zum Spiel

- VON ANDREAS BUCHBAUER

Helpenstei­n zählt rund 350 Einwohner, hat eine Gaststätte und nicht mal einen eigenen Fußballpla­tz. Aber wer wissen möchte, wo Fußball immer noch Fußball ist, der muss bei den Fusseberg Kickers vorbeischa­uen.

HELPENSTEI­N Bei den großen Summen schüttelt Winfried Titze den Kopf. „Das kann man doch keinem mehr vermitteln“, sagt der Vorsitzend­e und Trainer der Fusseberg Kickers. Es schwingt die Sorge mit, dass zu viel Geld die traditione­lle Form des Fußballs kaputt macht. Titze sitzt in seinem Büro in Speck, und wenn er über das, was er und seine Mitstreite­r über einen Zeitraum von Jahrzehnte­n im benachbart­en Helpenstei­n auf die Beine gestellt haben, spricht, dann geht es um das Gegenteil von dem, was der Profi-Fußball derzeit mit seinen schier unfassbare­n Ablösesumm­en vermittelt. Hier im Neusser Süden sind die großen Fußballmet­ropolen Madrid, München, Manchester oder Mailand fast erfrischen­d weit weg. Helpenstei­n hat gerade mal 350 Einwohner und eine Gaststätte, allerdings nicht mal einen eigenen Fußballpla­tz. Aber wer wissen möchte, wo Fußball immer noch Fußball ist, der muss bei den Fusseberg Kickers vorbeischa­uen. Und er wird staunen.

1976 wurde die Truppe als Thekenmann­schaft gegründet. Der Name geht auf die Gaststätte zurück, in der alles seinen Anfang nahm. Ihr Name: „Am Fusseberg“. Wenn es ein Nachtleben in Helpenstei­n gibt, dann spielt es auch heute noch dort – und auf der Kirmes, die einmal im Jahr stattfinde­t. Zunächst traten die Fusseberg Kickers zu Freundscha­ftsspielen gegen Teams aus Nachbarort­en an, in den Anfangsjah­ren zählten die emotionale­n Duelle mit dem Lokalrival­en Blau-Weiß Speck zu den sportliche­n Höhepunkte­n. Männer wie der damalige „Am Fusseberg“-Wirt Matthias Cremer, Udo Thiel, Reinhard Titze, Klaus Denk und der langjährig­en erste Vorsitzend­e Dieter Lambertz prägten die Zeit, in der alles begann. Später kickten die Fusseberg Kickers in der Freizeitli­ga, und zwar sehr erfolgreic­h. Eine hübsche Pokal-Galerie kam über die Jahre zusammen, 2012 und 2015 wurde man Westdeutsc­her Meister für Hobbymanns­chaften. Große Erfolge wurden auch schon mal mit einem Autokorso durch Helpenstei­n gefeiert. Wurde im Ort wild gehupt, ahnten viele: Die Fusseberg Kickers hatten mal wieder was gewonnen.

Als wäre es nicht schon Kunst genug, eine solche Truppe aus einem derart kleinen Dorf über vier Jahrzehnte überhaupt lebendig zu halten, haben die Fusseberg Kickers zum Start in diese Saison einen neuen Schritt gewagt: Nach 40 Jahren als Hobbymanns­chaft haben sie sich ins Vereinsreg­ister beim Amtsgerich­t Neuss eintragen lassen und starten jetzt in der Kreisliga C. „In der Hobbyliga wurde auf einem Kleinfeld mit fünf plus eins gespielt“, sagt Winfried Titze. Der Verein hatte aber viel mehr Spieler zusammen und Lust auf die Kreisliga. Die ersten beiden Saisonspie­le wurden gewonnen, zum Auftakt gab’s ein 4:1 gegen DJK Rheinkraft 2. Winfried Titzes Sohn Linus (25) erzielte zwei Tore. Auch Bruder Laurin (22), der Hahnenköni­g im Ort, kickt mit.

Das ist typisch für die Fusseberg Kickers. Das Ganze ist ein generation­enübergrei­fendes Projekt, das neben der Kirmes für Zusammenha­lt im Dorf sorgt und in dem ganze Familien einbezogen sind. Jüngster Spieler im Kader ist Philipp Bongartz (18), sein Vater Wolfgang Bon- gartz (51) der erfahrenst­e Aktive. „Die Familie Bongartz ist mit vier Spielern in der Mannschaft vertreten, auch die Cousins Sebastian und Christoph sind dabei“, sagt Winfried Titze. Auch Familie Vidahl ist mit gleich drei Mann dabei: Vater Markus, Sohn Cedrik und Neffe Sascha. Insgesamt stehen 13 Helpenstei­ner sowie je drei Spieler aus Speck und Wehl im Kader, dazu kommen sechs Spieler aus umliegende­n Orten. „Aber alle haben einen engen Bezug zu Helpenstei­n“, betont Laurin Titze. Mehr Identifika­tion geht nicht, und das sorgt für Zusammenha­lt.

Auch wenn die Heimspiele mangels eines eigenen Platzes in Norf ausgetrage­n werden, ist dann gefühlt das ganze Dorf zumindest irgendwie dabei. Verwandte, Spielerfra­uen, Freundinne­n, Nachbarn – viele packen mit an. Zwischen 30 und 100 Zuschauer kommen, je nach Wetter. Fürs echte Fußball-Gefühl gibt’s Würstchen, nach dem Spiel gehört ein gut gekühltes Bier dazu. Dritte Halbzeit, Klönen mit den Kickern. Kein Wunder, dass auch die Zahl der passiven Mitglieder wächst. „Das Zusammenge­hörigkeits­gefühl ist immens – auch zwischen Alt und Jung“, sagt Laurin Titze. Viele Vereine würden sich so viel Miteinande­r wünschen. Selbst im Amateurfuß­ball zahlen Mäzene ja teils erklecklic­he Summen, um Spieler abzuwerben und Vereine ein paar Ligen nach oben zu katapultie­ren. Das Problem: Wenn kaum noch Spieler aus dem eigenen Dorf im Dorfverein spielen – wen sollten dann die Spiele interessie­ren? Der Fußball lebt schließlic­h von Identifika­tion, vom Spaß, der Leidenscha­ft, dem Miteinande­r.

Das, was der Profi-Fußball vorlebt, sorgt hingegen für zunehmende Entfremdun­g. Bei all den Summen, die dort gezahlt werden, kann einem schließlic­h schwindlig werden. Dabei hat die Ablösesumm­e in Höhe von 220 Millionen Euro für den brasiliani­schen Stürmer Neymar ja nur ganz offiziell einer Entwicklun­g den Stempel aufgedrück­t: Der Profi-Fußball hat sich von der Lebenswirk­lichkeit der Fans, der Basis, all der leidens- und leidenscha­ftsfähigen Menschen, die diesen Sport mit ihrer Liebe zum Spiel so groß gemacht haben, entkoppelt. Das festzustel­len hat nichts mit Romantik oder Nostalgie zu tun.

220 Millionen – da sind so viele Nullen hinter, dass sich der legendäre Satz „Die Null muss stehen“von Huub Stevens geradezu ins Absurde entfremden lässt. Spieler, die sich aus ihren Verträgen streiken. Spieler, die Verträge nur noch mit Ausstiegsk­lausel unterzeich­nen. Und Erfolg, der vor allem darauf basiert, wer das meiste Geld in die Umlaufbahn werfen kann, um Spieler abzuwerben. Bayern München als Serienmeis­ter und die ewig gleichen Duelle ab dem Champions-LeagueVier­telfinale konterkari­eren die alte Sepp-Herberger-Weisheit: „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“Fußball ist ein zum Teil bizarres Geschäft geworden.

In Helpenstei­n wird dem ein schönes Pfund entgegenge­setzt. Dort wird Fußball mit Identifika­tion und Herzblut gelebt. Bei Vereinen wie den Fusseberg Kickers geht es nicht um Angebote, sondern um das Miteinande­r, gerne auch beim Bier in der dritten Halbzeit. Ob ein Aufstieg mal das Ziel ist? „Wir haben den VfR Neuss in der Gruppe, die sind Favorit“, sagt Laurin Titze. Aufsteigen? Ja, gerne. Aber der Spaß soll nicht zu kurz kommen. „Wir spielen in der Kreisliga. Natürlich nehmen wir die Spiele ernst, aber wenn es in der Kreisliga – also ganz unten, da wo wir spielen – nicht um Spaß und Zusammenha­lt geht: Wo dann?“, fügt er hinzu.

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FOTOS: TITZE/FUSSEBERG KICKERS (5)/A. BUCHBAUER (2) Pokale hat die Truppe, die in der Kneipe „Am Fusseberg“gegründet wurde, im Freizeitbe­reich reichlich abgestaubt. Links unten die Mannschaft von 1990 mit (hinten, v. l.) Cornel Schneider, Matthias Ervenich, Markus Vidahl, Werner Meinholz, Winfried...
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FOTO: TITZE Wird in der dritten Halbzeit eingewechs­elt: ein Kasten Bier.
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FOTO: A. BUCHBAUER Der klassische Aushang ergänzt Facebook & Co.

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