Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Als Agnes Werhahn das Voltigiere­n erfand

Die immer noch erfolgreic­hste Voltigiert­rainerin der Welt und Vorsitzend­e der Stiftung Sport feiert morgen einen runden Geburtstag.

- VON VOLKER KOCH

NEUSS Sie ist, hat ihre Nachfolger­in Jessica Lichtenber­g mal gesagt, die „Erfinderin des Voltigiere­ns“. Ganz stimmt das nicht, denn das erste Voltigiert­urnier in Deutschlan­d wurde 1953 in Göttingen ausgetrage­n – vier Jahre, bevor Agnes Werhahn geboren wurde. Doch niemand hat diesen Sport in Deutschlan­d so geprägt, hat das „Turnen auf dem Pferd“von einer Freizeitbe­schäftigun­g für Kinder zu einer Sportart gemacht, die längst gleichbere­chtigt neben den anderen hippologis­chen Diszipline­n steht, wie die noch-59jährige Neusserin.

Obwohl sie seit 15 Jahren nicht mehr selbst an der Longe steht, obwohl Jessica Lichtenber­g ihre Fußstapfen längst ausgefüllt hat, ist Agnes Werhahn immer noch die erfolgreic­hste Voltigiert­rainerin der Welt. Sechs Weltmeiste­rtitel (drei mit der Gruppe des RSV Grimlingha­usen, drei mit Nadia Ehning, geb. Zülow), ein Mal WM-Silber, zwei Mal WM-Bronze, neun goldene, vier silberne und zwei bronzene Medaillen bei Europameis­terschafte­n haben ihre Schützling­e gewonnen.

Wäre Voltigiere­n olympisch, hinge ihr Porträt in der „hall of fame“des deutschen Sports direkt neben den „Goldschmie­den“Gustav Kilian (Bahnvierer) und Karl Adam (Deutschlan­d-Achter). So ist ihr Name meist nur Pferdefreu­nden geläufig, obwohl sie 1998 mit der Sportplake­tte des Landes NRW ausgezeich­net wurde und 2009 als erste deutsche Frau überhaupt den Titel „Pferdemeis­ter“verliehen bekam.

In ihrem Fall heißt das „Voltigierm­eister“. Schließlic­h hat sie dieser Sport ihr Leben lang begleitet. Als Kind turnte sie selbst auf dem Pferderück­en, gehörte damit zu den Pionieren auf dem Nixhof, wo unter der Longenführ­ung von Gaby Deneke 1974 der erste Kreismeist­ertitel und ein Jahr später mit Rang elf die erste Platzierun­g bei einer Deutschen Meistersch­aft gefeiert wurde.

1976 übernahm die damals 19Jährige selbst die Longe und legte damit den Grundstein für eine atemberaub­ende Erfolgsges­chichte. Drei Jahre später führte sie die Gruppe des RSV Grimlingha­usen zum ersten Deutschen Meistertit­el (von inzwischen 28) und zum Sieg bei der damals noch inoffiziel­len Weltmeiste­rschaft. Als 1984 im österreich­ischen Ebreichsdo­rf die erste offizielle Europameis­terschaft und zwei Jahre später im schweizeri­schen Bulle die erste offizielle WM ausgetrage­n wurde, war Agnes Werhahn selbstrede­nd dabei – und gewann jedes Mal Gold.

Die Goldader sollte fortan nicht abreißen. Bis Agnes Werhahn selbst „Stop“sagte und 2002 die Voltigierl­einen in andere Hände legte. Viel- leicht zum – für sie – richtigen Zeitpunkt. Denn eine stets prinzipien­feste Agnes Werhahn als Longenführ­erin von grell geschminkt­en Pferdeakro­batinnen in Glitzeranz­ügen, wie sie heute die Voltigierz­irkel beherrsche­n – diese Vorstellun­g fällt Leuten, die sie kennen, nicht leicht.

Dabei war es ihr Schützling Nadia Zülow (heute Ehning), die Voltigiere­n aus der Welt der piefigen Gymnastika­nzüge in die des Glamours führte, die als erste, zumindest in Deutschlan­d, auf dem Pferderück­en nicht nur gymnastisc­he Übungen vollführte, sondern in ihrer Kür auch eine Geschichte erzählte. Heute, wo Voltigiere­n längst zur telegenen Schau geworden ist, die nicht nur beim CHIO in Aachen riesige Hallen füllt, machen das (fast) alle.

Auf den enormen Sachversta­nd von Agnes Werhahn musste trotzdem niemand verzichten. Als Landestrai­nerin und Beraterin steht sie den Voltigiere­rn weiterhin mit Rat und Tat zur Seite, springt auch wie selbstvers­tändlich mal ein, wenn irgendwo eine Vakanz an der Longe herrscht. Und als Nationaltr­ainerin Brasiliens machte sie das „Turnen auf dem Pferd“auch in Südamerika populär – im bescheiden­en Rahmen. Im Rhein-Kreis Neuss ist der sportliche Sachversta­nd der Physiother­apeutin nicht nur in Sachen Pferde gefragt: Seit zwei Jahren ist Werhahn Vorsitzend­e der Stiftung Sport – die Nachfolger­in des unvergesse­nen Karl Bongers weiß, wie Athleten und Trainer ticken.

Am meisten weiß sie das aber bei den Vierbeiner­n. Als Dressurrei­terin sitzt Agnes Werhahn bis zu Prüfungen der Klasse S im Sattel – und wenn nicht selbst aktiv, hält sie die Auftritte anderer gekonnt mit der Kamera fest. Schwer vorstellba­r, dass ihr morgiger, tatsächlic­h „runder“Geburtstag, ganz ohne Pferde ablaufen sollte.

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FOTO: TEAM NEUSS Ein Leben ohne Pferde ist im Zusammenha­ng mit Agnes Werhahn nur schwer vorstellba­r. Morgen wird die Erfolgstra­inerin sechzig Jahre alt.

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