Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Männlich, weiblich, inter
KARLSRUHE Als Vanja 1989 geboren wird, vermerkt das Standesamt in der Geburtsurkunde das Geschlecht „weiblich“. Ein Mädchen, denken die Eltern, und versorgen ihr Kind mit Kleidern. Dass Vanja, die sich diesen Namen später selbst gegeben hat, diese Kleider nicht besonders gern trägt, brachte sie nicht in Besorgnis. Nicht jedes Mädchen spielt mit Puppen, nicht jedes Mädchen will eine Prinzessin sein, nicht jedes Mädchen liebt die Farbe Pink. So weit ist die Gesellschaft des Jahres 1989 zweifelsfrei. Aber als Vanja ein Teenager ist, da wachsen keine Brüste, keine Monatsblutung stellte sich ein. Vanjas DNA fehlt das Frauen kennzeichnende zweite X-Chromosom. Auch ein YChromosom, das sie biologisch zu einem Mann machen würde, hat Vanja nicht. Und so wird aus der unbeachteten Abneigung gegen Kleider ein Problem. Vanja lebt zwischen den Geschlechtern.
Die deutsche Bürokratie kennt für Menschen wie Vanja bislang nur eine Leerstelle. Das Personenstandsgesetz, das den Menschen zu einer Rechtsfigur werden lässt, regelt nüchtern: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“Und so bleibt in Zweifelsfällen das Geschlecht auf der Geburtsurkunde einfach frei. Intersexuelle, also Menschen, die biologische Merkmale beider bekannten Geschlechter aufweisen, haben in der deutschen Rechtsordnung keinen Platz. Sie gelten als gar nichts. Doch damit ist nun Schluss. Und das liegt an Vanja.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem gestern veröffentlichten Beschluss entschieden, dass es in Deutschland ein drittes Geschlecht geben muss. „Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu“, schreiben die Richter des Ersten Senats in der Entscheidung. Diese Zuordnung nehme eine Schlüsselposition im Selbstverständnis einer Person ein, auch dabei, wie sie von anderen wahrgenommen werde. Dass das deutsche Recht also nur zwei Geschlechter kennt, verletzt all diejenigen in ihrem Persönlichkeitsrecht, die „sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“(Aktenzeichen: 1 BvR 2019/16).
Vanja, inzwischen 27 Jahre alt, hat sich das dritte Geschlecht hart erkämpft. 2014 hatte Vanja vor dem Amtsgericht Hannover mit der Bielefelder Rechtsanwältin Katrin Niedenthal gegen die Eintragung als Frau im Personenstandsregister geklagt. Das Gericht wies die Klage ab, weil das deutsche Recht eben nur Frau und Mann kenne. Auch die Beschwerden gegen die Niederlage vor dem Oberlandesgericht Celle und auch vor dem Bundesgerichtshof verlor Vanja. Erst das Bundesverfassungsgericht, die letzte Chance also, gab den beiden recht.
Das Karlsruher Gericht bleibt damit seiner diskriminierungsfeindlichen Rechtssprechung treu. Immer wieder, auch bei der Gleichstellung Homosexueller, hat sich das höchste deutsche Gericht als gesellschaftlicher Integrationsmotor erwiesen. Schon in der Vergangenheit hatte das Bundesverfassungsgericht etwa im Falle von Transsexuellen (also Menschen, die biologisch klar einem Geschlecht zuzuordnen sind, sich darin aber falsch fühlen) entschieden, dass das „Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität“zur Menschenwürde gehört. Nur weil es aufwendig, teuer oder ungewohnt sei, dürfe der Staat Intersexuellen ein eigenes Geschlecht nicht verwehren. Der Gesetzgeber muss den Menschen dem Geschlecht zuordnen, dem er nach seiner „psychischen und physischen Konstitution“angehört. Bis zum 31. Dezember 2018 hat der Gesetzgeber nun
„Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die Identität herausragende Bedeutung zu“
Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts