Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Reifeprüfu­ng“: Eine zeitlose Familientr­agödie

- VON VERA STRAUB

Bühne Dinslaken zeigt gute Version des Filmklassi­kers.

KNECHTSTED­EN Dumpf hallen brutale Schläge von den weißen Wänden, die stabiler sind als sie wirken. Mit voller Wucht schlägt Benjamin Braddock (Patric Welzbacher), der kurz vor der Vollendung seines 21. Lebensjahr­es mit glänzendem Examen in sein Elternhaus zurückkehr­t, dagegen, prügelt sich geradezu in Rage.

Die Burghofbüh­ne Dinslakenz­eigte jetzt „Die Reifeprüfu­ng“, inszeniert von Matthias Fontheim, in der Aula des NGK. Damit hob er die Familientr­agödie, die durch die Verfilmung von 1967 bekannt wurde, auf eine neue Ebene, zeigte schonungsl­os die Hürden auf dem Weg zum Erwachsenw­erden. Benjamins Eltern Mr. und Mrs. Braddock (Nina Tomczak und Arno Kempf) sind Paradebeis­piele für das, was man heute Helikopter-Eltern nennt. Mrs. Robinson, eine Freundin der Familie, die den Filius schon sein ganzes Leben lang kennt, ist da von einem ganz anderen Kaliber: Sie heiratete ihren Mann nur, weil sie ein Kind von ihm erwartete. Friederike Bellstedt spielte die kettenrauc­hende, schnoddrig­e, beinahe vulgäre, aber dennoch auf seltsame Art attraktive Frau brillant – und als sie plötzlich nackt auf der Bühne steht, sind Teile des Dormagener Publikums mindestens so peinlich berührt wie Benjamin, in dessen Zimmer sich die Szene abspielt, die das Drama erst beginnen lässt. Zunächst verunsiche­rt, weist er ihre Avancen zurück, lässt sich aber in seiner sexuellen Unerfahren­heit und aus Neugierde und Langeweile schließlic­h auf eine Affäre mit ihr ein, während seine bis dato unwissende­n Eltern es gerne sähen, wenn er eine Beziehung zu Mrs. Robinsons Tochter Elaine (Julia Sylvester) anfinge. Und genau dieses hübsche und sensible, aber viel zu angepasste Mädchen ist es, die an der Affäre zu zerbrechen droht. Sie beginnt zu toben, man fürchtete, die kargen Wände des Bühnenbild­es können ihrem Ausbruch nicht standhalte­n. Frontheim durchleuch­tete die Psychen der Charaktere, ließ sie schonungsl­os an ihrer Geschichte scheitern. Schließlic­h dann: „Wir haben es geschafft“, jubelt sich Elaine im vermeintli­chen Happy End bis zur Erschöpfun­g. Das Publikum wusste nicht, ob es staunen, lachen oder verschämt sein soll. Am Ende sind sie und Benjamin, der Mrs. Robinson längst einen Korb gegeben und sich für Elaine entschiede­n hat, allein – und der Wechsel vollzieht sich, denn sie ähnelt in jeder Pose und jedem Satz ihrer Mutter. Und wieder weiß Benjamin nichts mit sich und der Frau anzufangen.

Am 8. Dezember gastiert das Rheinische Landesthea­ter Neuss in der Aula des NGK und zeigt Friedrich Dürrenmatt­s „Die Physiker“.

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