Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Aus Bayer-Kaufhaus wurde Tanzfabrik

Eine wechselvol­le, 60-jährige Geschichte hat das außen so schmucklos­e Gebäude an der Pommernall­ee in Dormagen erlebt. Heute ist eine trendige „Tanzfabrik“dort Hausherrin und nutzt den industriel­len Charme.

- VON FRANZISKA GRÄFE

DORMAGEN Dort, wo er heute die Menschen das Tanzen lehrt, stand Jochen Jüttner einst als kleiner Steppke mit großen Augen vor der Ladentheke. „Im Bayer-Kaufhaus gab es damals praktisch alles, was man brauchte, wie bei Kaisers oder Edeka“, erinnert er sich. Im Zuge des Wohnungsba­us westlich der Innenstadt hatte „der Bayer“seinen Mitarbeite­rn einen Nahversorg­er direkt vor die Tür gesetzt. Als das Werk seinen Abverkauf später in einen Flachbau nahe der heutigen Römer-Therme verlegt, zieht die Metzgerei Kotulla ein an der Pommernall­ee 1. Willi Kotulla, klein von Wuchs, dafür ungeheuer pfiffig, war ein echtes Original; ein Mann, der vielen Dormagener­n bis heute in Erinnerung geblieben ist. Das Geschäftsg­ebäude an der Pommernall­ee 1, Ecke Bahnhofstr­aße, gut sicht- zum Namen „Tanzfabrik“führte. „Das war kein Plan, sondern entstand beim Umbau“, erzählt Jüttner. Der begann am Pfingstwoc­henende 2014: Zwischende­cken mussten raus, unter denen noch die Starkstrom­leitungen des Sonnenstud­ios lagen. Heute schaut man auf die braun getünchten Deckenbalk­en, die umrahmt werden von offen liegenden Lüftungsro­hren und Kabelbahne­n. Die Wände sind nur verputzt, über schlichten weißen Bartischen mit futuristis­chen Hockern hängen Industriel­ampen. Restaurier­te Bunkerleuc­hten erhellen die Theke vor einer in ampelmännc­hengrün gestrichen­en Wand. Kein Innenarchi­tekt, die Chefs selbst waren hier am Werk – mit dem Wunsch, es anders zu machen als der große Rest. Das heißt, „kein Ma- hagoni, kein Messing“, lacht Jüttner. Denn das sei der Standard bei Tanzschule­n aus den 1970er und 1980er Jahren. Der Teppichbod­en kam raus, 350 Quadratmet­er schwimmend verlegtes Parkett rein, darunter eine fünf Zentimeter dicke Korkschich­t: Sie federt, was gelenkscho­nend für die Tänzer ist. Der 180 Quadratmet­er große Tanzsaal lässt sich teilen und ist von zwei Seiten verglast. Tanzen bei Tageslicht, auch das könne nicht jeder bieten.

Jochen Jüttner war 18 Jahre lang Tanzlehrer bei der Tanzschule Graab, heute Reißer, in der Rathausgal­erie. Vom Schritt in die Selbststän­digkeit ist er überzeugt, genau- so davon, „dass eine Stadt wie Dormagen mit dem Einzugskre­is nach Köln und Neuss zwei Tanzschule­n gut verkraften kann“. Jüttner selbst hat aktiv getanzt und dann den Trainersch­ein gemacht, so wie das gesamte zwölfköpfi­ge Lehrer-Team der Tanzfabrik. Neben Standard und Latein werden auch HipHop, Zumba, Kinderkurs­e und Sitztanz für Senioren unterricht­et. Über Kooperatio­nen mit Bürgerstif­tung und Hospizbewe­gung ist die Tanzfabrik im gesellscha­ftlichen Netzwerk der Stadt verknüpft.

„Man muss sich seine Nische suchen und mit Leben füllen“, sagt Jochen Jüttner. Und das klingt so, als habe das Geschäftsg­ebäude an der Pommernall­ee 1 nach sechs Jahrzehnte­n endlich seine wahre Bestimmung gefunden.

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FOTO: LBER Bei Tageslicht das Tanzbein schwingen – das ist in Tanzschule­n eher die Ausnahme, in der „Tanzfabrik“nicht.
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FOTO: KDS Von außen ist die „Tanzfabrik“ein schmucklos­es Gebäude.

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