Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Mein Leben hat keinen festen Takt“

In loser Folge stellt die NGZ Kaarster und ihren Arbeitsall­tag vor. Heute: Brigitte Albrecht, Leiterin des Kunstateli­ers Einblick.

- VON BÄRBEL BROER

KAARST Eigentlich könnte sie ihren Ruhestand in vollen Zügen genießen. Denn gearbeitet hat die ehemalige Lehrerin an der Kaarster Förderschu­le für geistige Entwicklun­g genug. Doch wer Brigitte Albrecht, Leiterin des Kunstateli­ers Einblick, kennt, der weiß, die 67-Jährige mag nicht rasten. Dafür ist ihr das Schicksal behinderte­r Menschen viel zu wichtig. „Jeder Tag ist anders bei mir, keiner ist fest getaktet“, sagt die quirlige Kunstpädag­ogin. Daher gebe es auch keinen typischen Tagesablau­f für sie.

„Oft werde ich gefragt: Wann bist du denn im Café?“, sagt Albrecht. Sie antworte dann: „Immer und nie.“Ganz sicher treffe man sie um 8 Uhr morgens an. Wenn es eine Taktvorgab­e in ihrem Alltag gibt, dann ist es das Aufstehen um 7 Uhr und das Treffen mit den Mitarbeite­rn im Kunstcafé Einblick um 8 Uhr. „Wie bei Meetings im Büro – nur wohl viel lockerer“, so Albrecht.

Nach der Besprechun­g fallen unterschie­dliche Aufgaben an: Papierkram, Telefonate, Einkaufen. Die nächste Kunstausst­ellung mit Werken der behinderte­n Menschen wird vorbereite­t, ein Mitarbeite­r muss sozialvers­icherungsp­flichtig gemeldet, Zutaten für Kuchen sowie Torten müssen besorgt werden. „Denn ich backe alle Kuchen.“Für die Motiv-Torten hat sie sich sogar weitergebi­ldet. „Diese AirbrushTo­rten sind ja richtige Kunstwerke und zu besonderen Anlässen werden die gerne bestellt.“Zwischen- durch will immer wieder irgendjema­nd etwas von ihr: Ein Mann benötigt eine Spendenbes­cheinigung, eine behinderte Mitarbeite­rin braucht Hilfe bei den Frühstücks­gästen und eine Kundin ist an einem Bild interessie­rt.

Die Idee, ein Kunstateli­er mit Galerie für behinderte Menschen zu gründen, hatte sie bereits 2001. Seinerzeit lebte sie noch in Venlo, pendelte täglich nach Kaarst zur Sebastianu­s-Schule. Durch ihre Arbeit als Kunstpädag­ogin dort weiß sie: „Gerade das künstleris­che Arbeiten ist immens wichtig für die Persönlich- Brigitte Albrecht keitsentfa­ltung von geistig behinderte­n Menschen.“Und in Holland sah sie oft Beispiele für gelungene Inklusion, „zu Zeiten, als bei uns der Begriff noch nicht einmal benutzt wurde“.

In Vlissingen beeindruck­te sie ganz besonders das Projekt „Das offene Tor“. „Behinderte Menschen arbeiteten in einem Atelier mitten in der Fußgängerz­one.“Deren Staffeleie­n, aber auch der Abverkauf der Bilder gehörte zum Alltag. Doch je mehr ihre Vision Gestalt annahm, ein ähnliches Atelier in Kaarst gründen zu wollen, umso mehr Hürden gab es. „Es gibt keine sozialvers­icherungsp­flichtigen Kunstarbei­tsplätze in Deutschlan­d“, erklärt sie. Daher schied der Plan ausschließ­lich eines Ateliers für behinderte Menschen aus. Die Lösung war das Café Einblick. „Denn eine Anstellung der behinderte­n Menschen war notwendig.“

Hier hängen auch viele ihrer Kunstwerke. Diese entstehen wiederum im Kunstateli­er Einblick, das seit Oktober im ehemaligen Café Buxbaum und heutigen Ikea-träffpunkt ein neues Zuhause gefunden hat. „Denn in einem Café darf kein Atelier sein. Das sind die gesetzlich­en Vorgaben“, erklärt sie. „Ich freue mich, dass ich so vielseitig­e Tage habe“, sagt Albrecht, die im Januar dieses Jahres mit dem Bundesverd­ienstkreuz am Bande für ihre Arbeit geehrt worden ist. Dann sagt sie nachdenkli­ch: „Ich habe mein Leben gelebt und meine Chancen gehabt. Mir geht es um die Behinderte­n – sie brauchen ihre Chance.“

„Mir geht es um die Behinderte­n – sie brauchen ihre Chance“ Leiterin des Kunstateli­ers Einblick

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NGZ-FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE Brigitte Albrecht backt alle Kuchen – und hat sich für die Motivtorte­n sogar extra weitergebi­ldet.

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