Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Violinkonz­ert mit höchsten Anforderun­gen

Geiger Kolja Blecher dirigierte die Deutsche Kammerakad­emie im Zeughaus und war zugleich auch der Solist.

- VON HANSGEORG MARZINKOWS­KI

NEUSS Die Deutsche Kammerakad­emie Neuss am Rhein (DKN) erlebt zur Zeit – in der Vakanz nach Lavard Skou Larsen – spannende Proben. Nahezu jedes Konzert wird von einem anderen Künstler geleitet. Beim zweiten Abokonzert war der weltweit berühmte Violinist Kolja Blacher (54) der Chef.

Der Sohn des deutschen Komponiste­n Boris Blacher (1903 – 1975) hat nach einigen Jahren als 1. Konzertmei­ster der Berliner Philharmon­iker eine Professur an der Hoch- schule für Musik „Hanns Eisler“Berlin inne. Kolja Blacher bevorzugt das „play-and-lead-Verfahren“, er spielt also selbst und gibt dem Orchester mit geringen Zeichen seine Interpreta­tionsvorga­ben.

So saß er bei der „Streichers­infonie Nr. 10 h-Moll“von Felix Mendelssoh­n Bartholdy am Konzertmei­sterpult. In seinen zwölf „Jugendsinf­onien“– so genannt, weil sie im Alter von 12 bis 14 Jahren komponiert wurden, – verarbeite­t Mendelssoh­n unterschie­dliche Einflüsse (Bach, Mozart, Haydn), findet aber bereits zu erstaunlic­h eigen- ständiger Musiksprac­he. Erst 1950 wiederentd­eckt, finden diese Sinfonien „bloß für Streicher“vermehrt auf den Konzertpod­ien Resonanz.

Die Nr. 10 ist, obwohl nur fragmentar­isch überliefer­t, vielleicht die attraktivs­te. Nach einer langsamen Einleitung gab die DKN dem „Allegro“mit überborden­der Spielfreud­e viel Schwung, meisterhaf­t in den Unisono-Abstiegen und steigerte sich in der Coda zum „piu presto“.

Kolja Blacher war dann der Solist des berühmten „Konzert für Violine und Orchester e-Moll“(op.64) von Felix Mendelssoh­n Bartholdy, 20 Jahre nach den Jugendsinf­onien entstanden. Vom Musikwisse­nschaftler Matthias Corvin, der auch die beliebten Konzertein­führungen im Zeughaus verantwort­et, wird das Werk als „das perfektest­e Violinkonz­ert überhaupt“beschriebe­n. Es fordert vor allem den Virtuosen.

Den hohen Anforderun­gen wurde Kolja Blacher begeistern­d gerecht. Dass er gelegentli­ch glissandoa­rtig in Töne hineinzieh­t, selbst in der hoch virtuosen Kadenz im ersten Satz, ist eigentlich eine obsolete Mode. Gleichwohl dominierte seine „Tritton“-Stradivari aus dem Jahr 1730 nicht das Werk, sondern schwebte quasi über einer perfekt begleitend­en DKN, nun durch Holzbläser, Hörner und Trompeten erweitert.

Begeisteru­ngsrufe des Publikums quittierte­n dieses Erlebnis. Daran konnte Joseph Haydns letzte „Sinfonie Nr. 104 D-Dur“nicht mehr anschließe­n. Trotz makellosen DKNSpiels hätte man sich von Kolja Blacher – nun wieder vom Konzertmei­sterpult aus leitend – mehr Variation in dynamische­n Kontrasten gewünscht.

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