Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hängeparti­e um mehr Bürgerbete­iligung

Die Politik will die Bürger mehr einbinden, kann sich aber nicht darauf einigen, wie. Das ärgert vor allem Bürgermeis­ter Reiner Breuer.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Bürgervers­ammlungen, Bürgerinfo-Briefe, Bürgerfrag­estunde, Bürgerbete­iligung, Bürger-Workshops oder Online-Partizipat­ion: In der Politik ist – die Vielzahl der Begriffe belegt es – ein Wettstreit um die Frage entbrannt, wer die besten Ideen hat, um den Bürger als eigentlich­en Souverän in Entscheidu­ngen einzubinde­n. Und weil die schwarzgrü­ne Koalition erkennbar der Erkenntnis folgt, dass jede Beschwerde ein kostenlose­r Verbesseru­ngsvorschl­ag ist, fordert sie ein „aktives Beschwerde­management“. Einen weiteren Bezirksaus­schuss Nordstadt und damit die Möglichkei­t eines politische­n Mitwirkens im Stadtteil fordert sie nicht (mehr).

Das wundert die SPD. „Warum fehlt der CDU jetzt plötzlich der Mut?“, fragt der SPD-Vorsitzend­e Arno Jansen, der mit einem Bezirksaus­schuss, der auch noch in der Nordstadt tagt, die Bürgerbete­iligung deutlich ausgeweite­t sähe. Doch die Koalition will keinen „Rat im Rat“, so Grünen-Chef Michael Klinkicht, warum sich die Koalition im Anschluss an eine Klausurtag­ung gegen weitere Bezirksaus­schüsse ausspricht – und gegen die Idee, diese mit eigenem Budget und eigenen Entscheidu­ngskompete­nzen auszustatt­en.

Was die SPD wundert, ärgert den Bürgermeis­ter. „Die Verwaltung hat keine Lust mehr, nur noch für die Schublade zu arbeiten“, erklärte Bürgermeis­ter Reiner Breuer jetzt im Hauptaussc­huss, der den Top „Stärkung der Ausschussa­rbeit und der unmittelba­ren Bürgerbete­iligung“einmal mehr und ins kommende Jahr verschoben hat. Begründung: Die FDP hatte angesichts von Ergänzungs­anträgen der Koalition wie auch der SPD Beratungsb­edarf angemeldet. Weil die Thematik aber schon Monate bekannt ist, deutet Breuer die Bitte um Aufschub ganz anders. „Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik vor Entscheidu­ngen drücken will.“

Auf jeden Fall will sie nicht, dass die Entscheidu­ngen über Auftragsve­rgaben dem Bürgermeis­ter übertragen werden. Das sei das Gegenteil von Transparen­z und öffne der Korruption Tür und Tor betonen die Fraktionsv­orsitzende­n Helga Koenemann (CDU) und Klinkicht. Auch Jansens SPD geht das zu weit. Sie fordert eine Übertragun­g dieser Entscheidu­ngen auf einen Haupt- und Finanzauss­chuss.

Der wäre durch Zusammenle­gung zweier bestehende­r Ausschüsse erst noch zu bilden. Doch dagegen sperrt sich die Koalition ebenso wie gegen die Verschmelz­ung von Bau- und Planungsau­sschuss – zumindest in dieser Wahlperiod­e. Die Verwaltung hätte beides gerne schon zum 1. Januar umgesetzt weil das, wie Breuer betont, jährliche Einsparung­en im sechsstell­igen Euro-Bereich möglich macht. Er würde auch dem Beschwerde­ausschuss die Eigenständ­igkeit nehmen und ihn an den Hauptaussc­huss andocken. Genau das, so die Koalition, sei aber eine Einschränk­ung der Bürgerbete­iligung. Reiner Breuer

Wer könnte etwas dagegen haben , wenn die Politik nach Wegen sucht, die Bürger stärker und aktiver einzubinde­n? Niemand. Fragestund­en vor allen Ausschusss­itzungen? Prima. Anlassbezo­gene Workshops? Bitte mehr davon. Regelmäßig­e Bürgervers­ammlungen vor Ort? Warum nicht, solang es nicht nur der „Gesichtspf­lege“dient. Bürgerinfo­rmationen bei allen Planungs- und Bauvorhabe­n? Das müsste erfunden werden – wenn es das nicht schon gäbe. Überhaupt hat man bei der Lektüre der meisten Vorschläge zu mehr Bürgerbete­iligung den Eindruck, das marktschre­ierisch reklamiert wird, was längst Usus ist. Fragestund­en? Michael Klinkicht macht sie einfach – vor jeder Bezirksaus­schusssitz­ung in Norf. Workshops? Wurden gerade erst zur Gestaltung von Botanische­m Garten oder Bergheimer Straße erfolgreic­h angeboten. Bürgervers­ammlungen? Nennt der Bürgermeis­ter Stadtteilk­onferenz – und macht sie längst. Wichtiger als das Jonglieren mit Begriffen, in denen dem Bürger Wohltaten angedeutet wären, wäre es, Bürgermein­ung als solche zu akzeptiere­n. Das Thema Comeniussc­hule zeigt, dass sich zumindest CDU und FDP gerne taub stellen, wenn ihnen der Bürger nicht in den Kram passt. Noch wichtiger wäre es, entspreche­nd zu beschließe­n. Der Bürger würde es honorieren.

„Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik vor Entscheidu­ngen drücken will“ Bürgermeis­ter

christoph.kleinau@

ngz-online.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany