Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Hängepartie um mehr Bürgerbeteiligung
Die Politik will die Bürger mehr einbinden, kann sich aber nicht darauf einigen, wie. Das ärgert vor allem Bürgermeister Reiner Breuer.
NEUSS Bürgerversammlungen, Bürgerinfo-Briefe, Bürgerfragestunde, Bürgerbeteiligung, Bürger-Workshops oder Online-Partizipation: In der Politik ist – die Vielzahl der Begriffe belegt es – ein Wettstreit um die Frage entbrannt, wer die besten Ideen hat, um den Bürger als eigentlichen Souverän in Entscheidungen einzubinden. Und weil die schwarzgrüne Koalition erkennbar der Erkenntnis folgt, dass jede Beschwerde ein kostenloser Verbesserungsvorschlag ist, fordert sie ein „aktives Beschwerdemanagement“. Einen weiteren Bezirksausschuss Nordstadt und damit die Möglichkeit eines politischen Mitwirkens im Stadtteil fordert sie nicht (mehr).
Das wundert die SPD. „Warum fehlt der CDU jetzt plötzlich der Mut?“, fragt der SPD-Vorsitzende Arno Jansen, der mit einem Bezirksausschuss, der auch noch in der Nordstadt tagt, die Bürgerbeteiligung deutlich ausgeweitet sähe. Doch die Koalition will keinen „Rat im Rat“, so Grünen-Chef Michael Klinkicht, warum sich die Koalition im Anschluss an eine Klausurtagung gegen weitere Bezirksausschüsse ausspricht – und gegen die Idee, diese mit eigenem Budget und eigenen Entscheidungskompetenzen auszustatten.
Was die SPD wundert, ärgert den Bürgermeister. „Die Verwaltung hat keine Lust mehr, nur noch für die Schublade zu arbeiten“, erklärte Bürgermeister Reiner Breuer jetzt im Hauptausschuss, der den Top „Stärkung der Ausschussarbeit und der unmittelbaren Bürgerbeteiligung“einmal mehr und ins kommende Jahr verschoben hat. Begründung: Die FDP hatte angesichts von Ergänzungsanträgen der Koalition wie auch der SPD Beratungsbedarf angemeldet. Weil die Thematik aber schon Monate bekannt ist, deutet Breuer die Bitte um Aufschub ganz anders. „Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik vor Entscheidungen drücken will.“
Auf jeden Fall will sie nicht, dass die Entscheidungen über Auftragsvergaben dem Bürgermeister übertragen werden. Das sei das Gegenteil von Transparenz und öffne der Korruption Tür und Tor betonen die Fraktionsvorsitzenden Helga Koenemann (CDU) und Klinkicht. Auch Jansens SPD geht das zu weit. Sie fordert eine Übertragung dieser Entscheidungen auf einen Haupt- und Finanzausschuss.
Der wäre durch Zusammenlegung zweier bestehender Ausschüsse erst noch zu bilden. Doch dagegen sperrt sich die Koalition ebenso wie gegen die Verschmelzung von Bau- und Planungsausschuss – zumindest in dieser Wahlperiode. Die Verwaltung hätte beides gerne schon zum 1. Januar umgesetzt weil das, wie Breuer betont, jährliche Einsparungen im sechsstelligen Euro-Bereich möglich macht. Er würde auch dem Beschwerdeausschuss die Eigenständigkeit nehmen und ihn an den Hauptausschuss andocken. Genau das, so die Koalition, sei aber eine Einschränkung der Bürgerbeteiligung. Reiner Breuer
Wer könnte etwas dagegen haben , wenn die Politik nach Wegen sucht, die Bürger stärker und aktiver einzubinden? Niemand. Fragestunden vor allen Ausschusssitzungen? Prima. Anlassbezogene Workshops? Bitte mehr davon. Regelmäßige Bürgerversammlungen vor Ort? Warum nicht, solang es nicht nur der „Gesichtspflege“dient. Bürgerinformationen bei allen Planungs- und Bauvorhaben? Das müsste erfunden werden – wenn es das nicht schon gäbe. Überhaupt hat man bei der Lektüre der meisten Vorschläge zu mehr Bürgerbeteiligung den Eindruck, das marktschreierisch reklamiert wird, was längst Usus ist. Fragestunden? Michael Klinkicht macht sie einfach – vor jeder Bezirksausschusssitzung in Norf. Workshops? Wurden gerade erst zur Gestaltung von Botanischem Garten oder Bergheimer Straße erfolgreich angeboten. Bürgerversammlungen? Nennt der Bürgermeister Stadtteilkonferenz – und macht sie längst. Wichtiger als das Jonglieren mit Begriffen, in denen dem Bürger Wohltaten angedeutet wären, wäre es, Bürgermeinung als solche zu akzeptieren. Das Thema Comeniusschule zeigt, dass sich zumindest CDU und FDP gerne taub stellen, wenn ihnen der Bürger nicht in den Kram passt. Noch wichtiger wäre es, entsprechend zu beschließen. Der Bürger würde es honorieren.
„Ich habe den Eindruck, dass sich die Politik vor Entscheidungen drücken will“ Bürgermeister
christoph.kleinau@
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