Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

So funktionie­rt die Pflegezeit

Für die Pflege eines nahen Angehörige­n können sich Beschäftig­te von der Arbeit freistelle­n lassen.

- VON SABINE MEUTER

DÜSSELDORF Für die meisten Arbeitnehm­er ist der Alltag straff durchorgan­isiert. Doch dann passiert etwas Unerwartet­es: Ein naher Angehörige­r erleidet einen Schlaganfa­ll und wird zum Pflegefall. Jemand aus der Familie muss von jetzt auf gleich trotz Berufstäti­gkeit Hilfe organisier­en oder eben selbst dem Pflegebedü­rftigen zur Seite stehen. Muss man gleich nach dem Ereignis wieder zur Arbeit?

Wird ein Angehörige­r plötzlich zum Pflegefall, kann sich ein Arbeitnehm­er einmalig bis zu zehn Tage von der Arbeit freistelle­n lassen. In der Zeit kann er sich entweder nach einer Pflegekraf­t umsehen und sie engagieren oder aber sich selbst um die Pflege des Bedürftige­n kümmern. „Dieses Recht auf Freistellu­ng hat jeder Beschäftig­ter, unabhängig von der Größe des Unternehme­ns, bei dem er oder sie tätig ist“, sagt eine Sprecherin des Bundesfami­lienminist­eriums in Berlin. Während der zehn Tage ist der Arbeitnehm­er weiterhin kranken- und rentenvers­ichert sowie gegen Arbeitslos­igkeit versichert. Da er für die Zeit keinen Lohn oder kein Gehalt bekommt, hat er Anspruch auf Pflegeunte­rstützungs­geld. Es muss bei der Pflegekass­e des pflegebedü­rftigen Angehörige­n beantragt werden. Wie lange kann ein Arbeitnehm­er insgesamt freinehmen?

Wer einen pflegebedü­rftigen nahen Angehörige­n selbst zu Hause pflegen möchte, kann bis zu sechs Monate unbezahlt seine Arbeitszei­t reduzieren oder auch ganz aus dem Job aussteigen. So sieht es das Pflegezeit­gesetz vor. „Einen solchen Anspruch haben aber nur jene, die in einem Betrieb mit mehr als 15 Beschäftig­ten tätig sind“, erklärt Cornelia Jurrmann vom Sozialverb­and VdK Deutschlan­d. Der Pflegebedü­rftige muss zudem mindestens in Pflegegrad eins eingestuft sein. Um die Pflegezeit zu finanziere­n, können Arbeitnehm­er ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesel­lschaftlic­he Aufgaben beantragen. Wer einen nahen Angehörige­n in seiner letzten Lebensphas­e begleiten möchte, kann sich nach dem Pflegezeit­gesetz bis zu drei Monate vollständi­g oder teilweise von seinem Arbeitgebe­r freistelle­n lassen - auch, wenn der Pflegebedü­rftige in einem Krankenhau­s oder in einem Hospiz versorgt wird.

Zu den nahen Angehörige­n zählen laut Pflegezeit­gesetz: Großel- tern, Eltern, Schwiegere­ltern und Stiefelter­n. Hinzu kommen Ehegatten, Lebenspart­ner, Partner einer eheähnlich­en oder lebenspart­nerschafts­ähnlichen Gemeinscha­ft, Geschwiste­r, Lebenspart­ner der Geschwiste­r und Geschwiste­r der Lebenspart­ner. Der Begriff umfasst außerdem Kinder, Adoptiv- und Pflegekind­er sowie Schwiegert­öchter, Schwiegers­öhne und Enkelkinde­r. Und was, wenn jemand länger gepflegt werden muss?

Ist ein Angehörige­r für längere Zeit pflegebedü­rftig, können Beschäftig­te ihre Arbeitszei­t bis zu 24 Monate reduzieren, müssen aber mindestens 15 Stunden pro Woche weiter arbeiten. Sie bekommen dann auch entspreche­nd weniger Lohn oder Gehalt. Dieses Modell nennt sich Familienpf­legezeit. Voraussetz­ung ist, dass der Beschäftig- te in einem Betrieb mit mehr als 25 Arbeitnehm­ern tätig ist. Ebenso wie bei der Pflegezeit kann der Beschäftig­te die Familienpf­legezeit über ein zinsloses Darlehen finanziere­n. „Wird vor der Familienpf­legezeit noch eine Pflegezeit in Anspruch genommen, darf die Kombinatio­n eine Gesamtdaue­r von zwei Jahren nicht überschrei­ten“, sagt Verena Querling. Sie ist Referentin im Bereich des Pflegerech­ts bei der Verbrauche­rzentrale NRW in Düsseldorf. Von dem Zeitpunkt der Ankündigun­g, eine Auszeit nehmen zu wollen, bis zum Ende der Familienpf­legezeit oder der Pflegezeit darf der Arbeitgebe­r dem Beschäftig­ten nicht kündigen.

Was ist beim Antrag zu beachten?

Spätestens acht Wochen vor dem gewünschte­n Beginn muss der Beschäftig­te den Arbeitgebe­r schriftlic­h darüber informiere­n, dass er Familienpf­legezeit beanspruch­en möchte. Von wann bis wann genau er oder sie Pflegezeit nimmt, muss zehn Arbeitstag­e vor Beginn der Auszeit angekündig­t werden, erklärt die Ministeriu­mssprecher­in. Der Beschäftig­te muss mitteilen, um wie viele Stunden die Arbeitszei­t reduziert werden soll. „Dabei ist auch anzugeben, an welchen Tagen der Arbeitnehm­er wie viele Stunden arbeiten möchte“, sagt Querling. Dem Schreiben muss der Pflegegrad-Bescheid des Angehörige­n beiliegen. Wer keinen rechtliche­n Anspruch auf Pflegezeit oder Familienpf­legezeit hat, sollte sich rechtzeiti­g mit dem Arbeitgebe­r zusammense­tzen und nach einer Lösung für die Pflege des Angehörige­n suchen.

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FOTO: MASCHE BRICHTA Wer einen Angehörige­n selbst zuhause pflegen möchte, kann dafür eine Zeit lang aus dem Job rausgehen.

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